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unangenehmen Empfindung”, versetzte ich, “die doch jedermann gerne los
ist; und niemand weiß, wie weit seine Kräfte gehen, bis er sie versucht hat.
Gewiß, wer krank ist, wird bei allen Ärzten herumfragen, und die größten
Resignationen, die bittersten Arzeneien wird er nicht abweisen, um seine
gewünschte Gesundheit zu erhalten”.—ich bemerkte, daß der ehrliche Alte
sein Gehör anstrengte, um an unserm Diskurse teilzunehmen, ich erhob die
Stimme, indem ich die Rede gegen ihn wandte”. Man predigt gegen so viele
Laster”, sagte ich, “ich habe noch nie gehört, daß man gegen die üble Laune
vom Predigtstuhle gearbeitet hätte.—“Das müßten die Stadtpfarrer tun”, sagte
er, “die Bauern haben keinen bösen Humor; doch könnte es auch zuweilen
nicht schaden, es wäre eine Lektion für seine Frau wenigstens und für den
Herrn Amtmann”.—Die Gesellschaft lachte, und er herzlich mit, bis er in
einen Husten verfiel, der unsern Diskurs eine Zeitlang unterbrach; darauf
denn der junge Mensch wieder das Wort nahm: “Sie nannten den bösen
Humor ein Laster; mich deucht, das ist übertrieben”.—“Mit nichten”, gab ich
zur Antwort, “wenn das, womit man sich selbst und seinem Nächsten schadet,
diesen Namen verdient. Ist es nicht genug, daß wir einander nicht glücklich
machen können, müssen wir auch noch einander das Vergnügen rauben, das
jedes Herz sich noch manchmal selbst gewähren kann? Und nennen Sie mir
den Menschen, der übler Laune ist und so brav dabei, sie zu verbergen, sie
allein zu tragen, ohne die Freude um sich her zu zerstören! Oder ist sie nicht
vielmehr ein innerer Unmut über unsere eigene Unwürdigkeit, ein Mißfallen
an uns selbst, das immer mit einem Neide verknüpft ist, der durch eine
törichte Eitelkeit aufgehetzt wird? Wir sehen glückliche Menschen, die wir
nicht glücklich machen, und das ist unerträglich”.—Lotte lächelte mich an, da
sie die Bewegung sah, mit der ich redete, und eine Träne in Friederikens
Auge spornte mich fortzufahren.—“Wehe denen”, sagte ich, “die sich der
Gewalt bedienen, die sie über ein Herz haben, um ihm die einfachen Freuden
zu rauben, die aus ihm selbst hervorkeimen. Alle Geschenke, alle
Gefälligkeiten der Welt ersetzen nicht einen Augenblick Vergnügen an sich
selbst, den uns eine neidische Unbehaglichkeit unsers Tyrannen vergällt hat”.
Mein ganzes Herz war voll in diesem Augenblicke; die Erinnerung so
manches Vergangenen drängte sich an meine Seele, und die Tränen kamen
mir in die Augen.
“Wer sich das nur täglich sagte”,rief ich aus,“du vermagst nichts auf deine
Freunde, als ihnen ihre Freuden zu lassen und ihr Glück zu vermehren, indem
du es mit ihnen genießest. Vermagst du, wenn ihre innere Seele von einer
ängstigenden Leidenschaft gequält, vom Kummer zerrüttet ist, ihnen einen
Tropfen Linderung zu geben?
Und wenn die letzte, bangste Krankheit dann über das Geschöpf herfällt,
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Die Leiden des jungen Werthers
- Titel
- Die Leiden des jungen Werthers
- Autor
- Johann Wolfgang von Goethe
- Datum
- 1774
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 95
- Kategorien
- Weiteres Belletristik