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Am 11. Julius
Frau M. ist sehr schlecht; ich bete für ihr Leben, weil ich mit Lotten dulde.
Ich sehe sie selten bei einer Freundin, und heute hat sie mir einen
wunderbaren Vorfall erzählt.—der alte M. ist ein geiziger, rangiger Filz, der
seine Frau im Leben was Rechts geplagt und eingeschränkt hat; doch hat sich
die Frau immer durchzuhelfen gewußt. Vor wenigen Tagen, als der Arzt ihr
das Leben abgesprochen hatte, ließ sie ihren Mann kommen (Lotte war im
Zimmer) und redete ihn also an: “ich muß dir eine Sache gestehen, die nach
meinem Tode Verwirrung und Verdruß machen könnte. Ich habe bisher die
Haushaltung geführt, so ordentlich und sparsam als möglich; allein du wirst
mir verzeihen, daß ich dich diese dreißig Jahre her hintergangen habe. Du
bestimmtest im Anfange unserer Heirat ein Geringes für die Bestreitung der
Küche und anderer häuslichen Ausgaben. Als unsere Haushaltung stärker
wurde, unser Gewerbe größer, warst du nicht zu bewegen, mein Wochengeld
nach dem Verhältnisse zu vermehren; kurz, du weißt, daß du in den Zeiten, da
sie am größten war, verlangtest, ich solle mit sieben Gulden die Woche
auskommen.
Die habe ich denn ohne Widerrede genommen und mir den Überschuß
wöchentlich aus der Losung geholt, da niemand vermutete, daß die Frau die
Kasse bestehlen würde. Ich habe nichts verschwendet und wäre auch, ohne es
zu bekennen, getrost der Ewigkeit entgegengegangen, wenn nicht diejenige,
die nach mir das Hauswesen zu führen hat, sich nicht zu helfen wissen würde,
und du doch immer darauf bestehen könntest, deine erste Frau sei damit
ausgekommen”.
Ich redete mit Lotten über die unglaubliche Verblendung des
Menschensinns, daß einer nicht argwohnen soll, dahinter müsse was anders
stecken, wenn eins mit sieben Gulden hinreicht, wo man den Aufwand
vielleicht um zweimal so viel sieht. Aber ich habe selbst Leute gekannt, die
des Propheten ewiges Ölkrüglein ohne Verwunderung in ihrem Hause
angenommen hätten.
Am 13. Julius
Nein, ich betrüge mich nicht! Ich lese in ihren schwarzen Augen wahre
Teilnehmung an mir und meinem Schicksal. Ja ich fühle, und darin darf ich
meinem Herzen trauen, daß sie—o darf ich, kann ich den Himmel in diesen
Worten aussprechen?—daß sie mich liebt!
Mich liebt!—und wie wert ich mir selbst werde, wie ich—dir darf ich’s
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Die Leiden des jungen Werthers
- Titel
- Die Leiden des jungen Werthers
- Autor
- Johann Wolfgang von Goethe
- Datum
- 1774
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 95
- Kategorien
- Weiteres Belletristik