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können, ist der Vorteil immer ihr, so selten es auch angeht.
Indes kann ich Alberten meine Achtung nicht versagen. Seine gelassene
AuĂźenseite sticht gegen die Unruhe meines Charakters sehr lebhaft ab, die
sich nicht verbergen läßt. Er hat viel Gefühl und weiß, was er an Lotten hat.
Erscheint wenig ĂĽble Laune zu haben, und du weiĂźt, das ist die SĂĽnde, die ich
ärger hasse am Menschen als alle andre.
Er hält mich für einen Menschen von Sinn; und meine Anhänglichkeit zu
Lotten, meine warme Freude, die ich an allen ihren Handlungen habe,
vermehrt seinen Triumph, und er liebt sie nur desto mehr. Ob er sie nicht
einmal mit keiner EifersĂĽchtelei peinigt, das lasse ich dahingestellt sein,
wenigstens würd’ ich an seinem Platz nicht ganz sicher vor diesem Teufel
bleiben.
Dem sei nun wie ihm wolle, meine Freude, bei Lotten zu sein, ist hin. Soll
ich das Torheit nennen oder Verblendung?—was braucht’s Namen! Erzählt
die Sache an sich!—ich wußte alles, was ich jetzt weiß, ehe Albert kam; ich
wußte, daß ich keine Prätension an sie zu machen hatte, machte auch keine—
das heißt, insofern es möglich ist, bei so viel Liebenswürdigkeit nicht zu
begehren—und jetzt macht der Fratze große Augen, da der andere nun
wirklich kommt und ihm das Mädchen wegnimmt.
Ich beiße die Zähne auf einander und spott über mein Elend, und spottete
derer doppelt und dreifach, die sagen könnten, ich sollte mich resignieren,
und weil es nun einmal nicht anders sein könnte. —schafft mir diese
Strohmänner vom Halse!—ich laufe in den Wäldern herum, und wenn ich zu
Lotten komme, und Albert bei ihr sitzt im Gärtchen unter der Laube, und ich
nicht weiter kann, so bin ich ausgelassen närrisch und fange viel Possen, viel
verwirrtes Zeug an. —“um Gottes willen”, sagte mir Lotte heut, “ich bitte Sie,
keine Szene wie die von gestern abend! Sie sind fĂĽrchterlich, wenn Sie so
lustig sind”.—Unter uns, ich passe die Zeit ab, wenn er zu tun hat; wutsch!
Bin ich drauß, und da ist mir’s immer wohl, wenn ich sie allein finde.
Am 8. August
Ich bitte dich, lieber Wilhelm, es war gewiĂź nicht auf dich geredet, wenn
ich die Menschen unerträglich schalt, die von uns Ergebung in
unvermeidliche Schicksale fordern. Ich dachte wahrlich nicht daran, daĂź du
von ähnlicher Meinung sein könntest. Und im Grunde hast du recht. Nur eins,
mein Bester! In der Welt ist es sehr selten mit dem Entweder-Oder getan; die
Empfindungen und Handlungsweisen schattieren sich so mannigfaltig, als
Abfälle zwischen einer Habichts—und Stumpfnase sind.
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Die Leiden des jungen Werthers
- Titel
- Die Leiden des jungen Werthers
- Autor
- Johann Wolfgang von Goethe
- Datum
- 1774
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 95
- Kategorien
- Weiteres Belletristik