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Ich fürchte, mein Gesandter und ich halten es zusammen nicht mehr lange
aus. Der Mann ist ganz und gar unerträglich. Seine Art zu arbeiten und
Geschäfte zu treiben ist so lächerlich, daß ich mich nicht enthalten kann, ihm
zu widersprechen und oft eine Sache nach meinem Kopf und meiner Art zu
machen, das ihm denn, wie natürlich, niemals recht ist. Darüber hat er mich
neulich bei Hofe verklagt, und der Minister gab mir einen zwar sanften
Verweis, aber es war doch ein Verweis, und ich stand im Begriffe, meinen
Abschied zu begehren, als ich einen Privatbrief von ihm erhielt, einen Brief,
vor dem ich niedergekniet, und den hohen, edlen, weisen Sinn angebetet habe.
Wie er meine allzu große Empfindlichkeit zurechtweiset, wie er meine
überspannten Ideen von Wirksamkeit, von Einfluß auf andere, von
Durchdringen in Geschäften als jugendlichen guten Mut zwar ehrt, sie nicht
auszurotten, nur zu mildern und dahin zu leiten sucht, wo sie ihr wahres Spiel
haben, ihre kräftige Wirkung tun können. Auch bin ich auf acht Tage gestärkt
und in mir selbst einig geworden. Die Ruhe der Seele ist ein herrliches Ding
und die Freude an sich selbst. Lieber Freund, wenn nur das Kleinod nicht
eben so zerbrechlich wäre, als es schön und kostbar ist.
Am 20. Februar
Gott segne euch, meine Lieben, geb’ euch alle die guten Tage, die er mir
abzieht!
Ich danke dir, Albert, daß du mich betrogen hast: ich wartete auf Nachricht,
wann euer Hochzeitstag sein würde, und hatte mir vorgenommen, feierlichst
an demselben Lottens Schattenriß von der Wand zu nehmen und ihn unter
andere Papiere zu begraben. Nun seid ihr ein Paar, und ihr Bild ist noch hier!
Nun, so soll es bleiben! Und warum nicht? Ich weiß, ich bin ja auch bei euch,
bin dir unbeschadet in Lottens Herzen, habe, ja ich habe den zweiten Platz
darin und will und muß ihn behalten. O ich würde rasend werden, wenn sie
vergessen könnte—Albert, in dem Gedanken liegt eine Hölle. Albert, leb’
wohl! Leb’ wohl, Engel des Himmels! Leb’ wohl, Lotte!
Den 15. März
Ich habe einen Verdruß gehabt, der mich von hier wegtreiben wird. Ich
knirsche mit den Zähnen! Teufel! Er ist nicht zu ersetzen, und ihr seid doch
allein schuld daran, die ihr mich sporntet und treibt und quältet, mich in einen
Posten zu begeben, der nicht nach meinem Sinne war. Nun habe ich’s! Nun
habt ihr’s! Und daß du nicht wieder sagst, meine überspannten Ideen
verdürben alles, so hast du hier, lieber Herr, eine Erzählung, plan und nett,
wie ein Chronikenschreiber das aufzeichnen würde.
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Die Leiden des jungen Werthers
- Titel
- Die Leiden des jungen Werthers
- Autor
- Johann Wolfgang von Goethe
- Datum
- 1774
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 95
- Kategorien
- Weiteres Belletristik