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und ich habe müssen zuhören Sie herabsetzen, erniedrigen, und konnte und
durfte Sie nur halb verteidigen.” Jedes Wort, das sie sprach, ging mir wie ein
Schwert durchs Herz. Sie fühlte nicht, welche Barmherzigkeit es gewesen
wäre, mir das alles zu verschweigen, und nun fügte sie noch hinzu, was weiter
würde geträtscht werden, was eine Art Menschen darüber triumphieren
würde.
Wie man sich nunmehr über die Strafe meines Übermuts und meiner
Geringschätzung anderer, die sie mir schon lange vorwerfen, kitzeln und
freuen würde. Das alles, Wilhelm, von ihr zu hören, mit der Stimme der
wahrsten Teilnehmung—ich war zerstört und bin noch wütend in mir. Ich
wollte, daß sich einer unterstünde, mir’s vorzuwerfen, daß ich ihm den Degen
durch den Leib stoßen könnte; wenn ich Blut sähe, würde mir’s besser
werden. Ach, ich hab’ hundertmal ein Messer ergriffen, um diesem
gedrängten Herzen Luft zu machen. Man erzählt von einer edlen Art Pferde,
die, wenn sie schrecklich erhitzt und aufgejagt sind, sich selbst aus Instinkt
eine Ader aufbeißen, um sich zum Atem zu helfen. So ist mir’s oft, ich
möchte mir eine Ader öffnen, die mir die ewige Freiheit schaffte.
Am 24. März
Ich habe meine Entlassung vom Hofe verlangt und werde sie, hoffe ich,
erhalten, und ihr werdet mir verzeihen, daß ich nicht erst Erlaubnis dazu bei
euch geholt habe. Ich mußte nun einmal fort, und was ihr zu sagen hattet, um
mir das Bleiben einzureden, weiß ich alles, und also—bringe das meiner
Mutter in einem Säftchen bei, ich kann mir selbst nicht helfen, und sie mag
sich gefallen lassen, wenn ich ihr auch nicht helfen kann. Freilich muß es ihr
wehe tun. Den schönen Lauf, den ihr Sohn gerade zum Geheimenrat und
Gesandten ansetzte, so auf einmal Halte zu sehen, und rückwärts mit dem
Tierchen in den Stall! Macht nun daraus, was ihr wollt, und kombiniert die
möglichen Fälle, unter denen ich hätte bleiben können und sollen; genug, ich
gehe, und damit ihr wißt, wo ich hinkomme, so ist hier der Fürst **, der
vielen Geschmack an meiner Gesellschaft findet; der hat mich gebeten, da er
von meiner Absicht hörte, mit ihm auf seine Güter zu gehen und den schönen
Frühling da zuzubringen. Ich soll ganz mir selbst gelassen sein, hat er mir
versprochen, und da wir uns zusammen bis auf einen gewissen Punkt
verstehn, so will ich es denn auf gut Glück wagen und mit ihm gehen.
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Am 19. April
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Die Leiden des jungen Werthers
- Titel
- Die Leiden des jungen Werthers
- Autor
- Johann Wolfgang von Goethe
- Datum
- 1774
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 95
- Kategorien
- Weiteres Belletristik