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Die Leiden des jungen Werthers
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alles aus.—“Er war also glücklich?“fragte ich.—“Ach ich wollte, ich wäre wieder so!” sagte er “Da war mir es so wohl, so lustig, so leicht wie einem Fisch im Wasser!”—“Heinrich!” rief eine alte Frau, die den Weg herkam, “Heinrich, wo steckst du? Wir haben dich überall gesucht, komm zum Essen.”—“Ist das euer Sohn?” fragt’ ich, zu ihr tretend.—“Wohl, mein armer Sohn!” versetzte sie. “Gott hat mir ein schweres Kreuz aufgelegt.”—“Wie lange ist er so?” fragte ich.—“So stille,” sagte sie, “ist er nun ein halbes Jahr. Gott sei Dank, daß er nur so weit ist, vorher war er ein ganzes Jahr rasend, da hat er an Ketten im Tollhause gelegen. Jetzt tut er niemand nichts, nur hat er immer mit Königen und Kaisern zu schaffen. Er war ein so guter, stiller Mensch, der mich ernähren half, seine schöne Hand schrieb, und auf einmal wird er tiefsinnig, fällt in ein hinziges Fieber, daraus in Raserei, und nun ist er, wie Sie ihn sehen. Wenn ich Ihnen erzählen sollte, Herr.”—Ich unterbrach den Strom ihrer Worte mit der Frage: “was war denn das für eine Zeit, von der er rühmt, daß er so glücklich, so wohl darin gewesen sei?”—“Der törichte Mensch!” rief sie mit mitleidigem Lächeln, “da meint er die Zeit, da er von sich war, das rühmt er immer; das ist die Zeit, da er im Tollhause war, wo er nichts von sich wußte.”—Das fiel mir auf wie ein Donnerschlag, ich drückte ihr ein Stück Geld in die Hand und verließ sie eilend. Da du glücklich warst! Rief ich aus, schnell vor mich hin nach der Stadt zu gehend, da dir es wohl war wie einem Fisch im Wasser!—Gott im Himmel! Hast du das zum Schicksale der Menschen gemacht, daß sie nicht glücklich sind, als ehe sie zu ihrem Verstande kommen und wenn sie ihn wieder verlieren!—Elender! Und auch wie beneide ich deinen Trübsinn, die Verwirrung deiner Sinne, in der du verschmachtest! Du gehst hoffnungsvoll aus, deiner Königin Blumen zu pflücken—im Winter—und trauerst, da du keine findest, und begreifst nicht, warum du keine finden kannst. Und ich—und ich gehe ohne Hoffnung, ohne Zweck heraus und kehre wieder heim, wie ich gekommen bin.—Du wähnst, welcher Mensch du sein würdest, wenn die Generalstaaten dich bezahlten. Seliges Geschöpf, das den Mangel seiner Glückseligkeit einer irdischen Hindernis zuschreiben kann! Du fühlst nicht, du fühlst nicht, daß in deinem zerstörten Herzen, in deinem zerrütteten Gehirne dein Elend liegt, wovon alle Könige der Erde dir nicht helfen können. Müsse der trostlos umkommen, der eines Kranken spottet, der nach der entferntesten Quelle reist, die seine Krankheit vermehren, sein Ausleben schmerzhafter machen wird! Der sich über das bedrängte Herz erhebt, das, um seine Gewissensbisse loszuwerden und die Leiden seiner Seele abzutun, eine Pilgrimschaft nach dem heiligen Grabe tut. Jeder Fußtritt, der seine Sohlen auf ungebahntem Wege durchschneidet, ist ein Linderungstropfen der geängsteten Seele, und mit jeder ausgedauerten Tagereise legt sich das Herz um viele Bedrängnisse leichter nieder.—Und dürft ihr das Wahn nennen, ihr Wortkrämer auf euren Polstern?—Wahn!—o Gott! Du siehst meine Tränen! Mußtest du, der du den 69
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Die Leiden des jungen Werthers
Titel
Die Leiden des jungen Werthers
Autor
Johann Wolfgang von Goethe
Datum
1774
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.7 cm
Seiten
95
Kategorien
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