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erneut vorzutragen, um gewissermaßen einen geschichtlichen Beleg der Über-
legungen zum Thema der Tagung zu bieten. Die im Programm dafür vorgese-
henen Minuten waren allerdings zu wenig. Ich beschränkte mich daher auf
zentrale soziologische Thesen zur Kritik landläufig verwendeter Bildungsbe-
griffe.
Thesen
Erstens: Meine soziologischen Überlegungen beruhen auf einer kritischen
Handlungstheorie. In ihr sind die Komponenten „Handlungsorientierungen“
und „Handlungsumstände“ wesentlich. Zu den Handlungsorientierungen aller
an einer sozialen Situation beteiligten Personen rechne ich deren Werte, Inte-
ressen, Vorstellungen und andere Ausrichtungen ihres Denkens, die deren Ver-
halten „orientieren“. Zu den eigenen bzw. allgemeinen Handlungsumständen
gehören persönliches Wissen und Können, gesellschaftliche Macht und Ein-
flüsse. Sie können die Verwirklichung von Handlungsorientierungen ermögli-
chen, erschweren oder verhindern.
Begriffe verstehe ich als Instrumente der Erkenntnis. Für eine zutreffende
sozialwissenschaftliche Erkenntnis ist entscheidend, die immer nur relative
Treffgenauigkeit des Begriffs gegenüber seinem sich wandelnden Erkenntnis-
gegenstand durch „Arbeit am Begriff“ stetig zu überprüfen.1
Weil die Handlungsorientierungen von dem, was jeweils unter Bildung ver-
standen wird, in der einen oder anderen Weise unser aller Leben betreffen,
lohnt sich die Auseinandersetzung mit den verschiedenen Verständnissen von
„Bildung“.
Zweitens: Die Bedeutungen des deutschsprachigen Wortes „Bildung“2 wa-
ren schon in der traditionellen Öffentlichkeit vielfältig; sie reichten von der
elitären „gebildeten Persönlichkeit“ über den geglückten Erwerb akademischer
1 Begriffe, die sich auf Bildung beziehen und ungenaues Denken ausdrücken sowie ungenaues
politisches Handeln zur Folge haben: „Bildungsabschluss“; wäre nicht „Schulabschluss“ tref-
fender? „Bildungsexpansion“; ist damit nicht nur der erweiterte Schul- bzw. Hochschulzu-
gang gemeint? Wäre „Schulaufseher“ für „Bildungsdirektor“ nicht eine genauere Bezeich-
nung?
2 Im Unterschied zu beispielsweise dem englischen Ausdruck „education“ (von lat. „educare“:
herausführen, aufziehen, erziehen; Langenscheidt o. J.: 367f.) kennt die deutsche Sprache
noch vereinzelt „Bildung“ als zutreffenden Begriff für den realen Zusammenhang – die pro-
zesshafte Interaktion – von einerseits dem transitiven Erziehen, Lehren oder Ausbilden mit
dem intransitiven Erfahren, Lernen oder Erinnern. Doch zunehmend setzt sich einseitig die
transitive Bedeutung des Begriffs durch, als wenn es bei der Persönlichkeitsbildung nicht
entscheidend auf die subjektive Aneignung der Impulse ankomme.
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Buch Lernprozesse über die Lebensspanne - Bildung erforschen, gestalten und nachhaltig fördern"
Lernprozesse über die Lebensspanne
Bildung erforschen, gestalten und nachhaltig fördern
Veröffentlicht mit Unterstützung der Fakultät für Kulturwissenschaften der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt
- Titel
- Lernprozesse über die Lebensspanne
- Untertitel
- Bildung erforschen, gestalten und nachhaltig fördern
- Autoren
- Monika Kastner
- Jasmin Donlic
- Barbara Hanfstingl
- Herausgeber
- Elisabeth Jaksche-Hoffman
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-SA 4.0
- ISBN
- 978-3-8474-1467-4
- Abmessungen
- 14.7 x 21.0 cm
- Seiten
- 190
- Kategorie
- Lehrbücher