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Erziehung, Schulung, Ausbildung und ähnliche transitive4 Begriffe verstanden
und angenommen, dass durch Lehrerausbildung und Schulorganisation er-
reicht werden könne, was politisch bzw. wirtschaftlich gewünscht wird.
Viertens: Auch zum Verständnis der Verwendung des Bildungsbegriffs
lassen sich zwei grundsätzlich verschiedene Zugänge gegeneinander abgren-
zen: Ein normatives Begriffsverständnis5 zielt auf bestimmte Wirkungen im
Verhalten von Menschen; sozialwissenschaftliches Begriffsverständnis be-
zieht sich hingegen auf das Verstehen des Bildungsprozesses, seiner Bedin-
gungen und Folgen. Die aktuelle Diskussion beherrschen eindeutig die norma-
tiven, transitiven Vorstellungen, also Erziehung, Schulung, Ausbildung usw. –
auch im Bereich der sich als Wissenschaft verstehenden Pädagogik.6
Offenbar wird in dem vorherrschenden Verständnis von „Bildung“ nicht
wahrgenommen, dass Menschen ihre individuelle Persönlichkeit unter dem
Einfluss der Gegebenheiten ihrer unmittelbaren Umgebung spätestens nach der
Geburt zu entwickeln beginnen. Der Anfang der Bildung, auf dem alle späteren
Impulse und Bemühungen, Institutionen und Organisationen aufsetzen, ist die
zu Beginn offene Entwicklung der Persönlichkeit, die sich mit dem weiteren
Leben festigt und strukturiert.
Fünftens: Es ist das Ziel der folgenden Erörterung zu belegen, wie be-
schränkt im unreflektierten und ideologischen Sprachgebrauch „Bildung“ ver-
standen wird. Die Hauptthese der Argumentation ist: Durch die verengte
Wahrnehmung von dem, was Bildung ihrem Wesen nach ist, wird jeweils un-
angemessen und damit relativ erfolglos versucht, eigene Ziele zu verfolgen und
auf die gesellschaftliche Entwicklung Einfluss zu nehmen. Durch mangelnde
Reflexion wird der Begriff zumeist je nach aktuellem Interesse verstanden:
Bildung als Schulung, als Investition oder gar als Ware. Auch hier gilt wie
generell: „Wer falsch denkt, kann nur zufällig richtig handeln.“ (Kellermann
2015: 23)
Sechstens: Prinzipiell lassen sich politisch-normative Sichtweisen von wis-
senschaftlich-analytischem Erkenntnisinteresse, transitives Handeln von in-
4 Um zu verstehen, was „Bildung“ zumindest im umfassenden deutschsprachigen Sinn bedeu-
tet, muss die Doppelseitigkeit des damit gemeinten Vorgangs berücksichtigt werden: Sie be-
steht aus dem transitiven Teil des Tuns (lehren, erziehen, ausbilden; normativ und organi-
siert) und dem intransitiven Teil der Aufnahme (lernen, erfahren, erinnern; beiläufig oder
inhaltlich).
5 Alle Personen, Gruppen und Organisationen, die ein Ziel anstreben, denken oder handeln
normativ. Doch prinzipiell gilt: Um den beabsichtigten Erfolg zu erreichen, sollte unterschie-
den werden: normatives Interesse an Einflussnahme auf einen Prozess vom wissenschaftli-
chen Interesse am Verstehen des Prozesses. Denn bevor etwas erfolgreich verändert oder
erreicht werden kann, müssten die entsprechenden Vorgänge und Verhältnisse verstanden
sein. Solches Verstehen zu erarbeiten ist ureigene Aufgabe der Wissenschaften.
6 „Pädagogik“ bedeutet aus dem Altgriechischen „Kinderführung“, ist also transitiv zu verste-
hen.
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Buch Lernprozesse über die Lebensspanne - Bildung erforschen, gestalten und nachhaltig fördern"
Lernprozesse über die Lebensspanne
Bildung erforschen, gestalten und nachhaltig fördern
Veröffentlicht mit Unterstützung der Fakultät für Kulturwissenschaften der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt
- Titel
- Lernprozesse über die Lebensspanne
- Untertitel
- Bildung erforschen, gestalten und nachhaltig fördern
- Autoren
- Monika Kastner
- Jasmin Donlic
- Barbara Hanfstingl
- Herausgeber
- Elisabeth Jaksche-Hoffman
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-SA 4.0
- ISBN
- 978-3-8474-1467-4
- Abmessungen
- 14.7 x 21.0 cm
- Seiten
- 190
- Kategorie
- Lehrbücher