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sich entwickeln. Zu diesen Prozessen11 gehört Bildung in Form (a) beiläufig
oder bewusst erworbener Erfahrung (intransitiv12); (b) beabsichtigte und (c)
unbeabsichtigte Vermittlung (transitiv) von Gefühlen, Wissen und Können in
den Lebenswelten gesellschaftlicher Institutionen sowie (d) organisierte Schu-
lung von Babykrippen über Pflichtschulen bis zu Hochschulen und darüber
hinaus (ebenfalls transitiv).
Neuntens: Bildung ist also der Prozess der Persönlichkeitsentwicklung, in
dem sich Gefühle, Können und Wissen, Bewusstsein und Orientierungen, Mo-
tive und Interessen in Reaktion auf äußere Impulse und Wahrnehmungen for-
men. Um diesen Prozess zu verstehen, ist es erforderlich zu erkennen, dass
Bildung sowohl in der Bedeutung des erreichten Standes als auch des fortlau-
fenden Prozesses die weitere Entwicklung einer Person beeinflusst: Jeder Im-
puls und jede Information können einerseits nur auf der Grundlage des bisher
entwickelten Wahrgenommenen (des persönlichen Bezugsrahmens) verstan-
den werden; andererseits wirken sie auf die weitere Entwicklung der Persön-
lichkeit. Das bedeutet, dass beabsichtigte Bildung, also jede transitive Aktion,
nur dann erfolgreich sein kann, wenn sie intransitiv angenommen wird.
So lange die transitiven Aktionen (Erziehen, Schulen, Ausbilden oder Leh-
ren) nicht erkannt werden als nur die eine Seite des Prozesses und dass die
andere Seite – also das intransitive Aufnehmen, Studieren, Auseinandersetzen
mit dem Angebotenen oder Lernen – für erfolgreiche Bildung erforderlich ist,13
kann die gewünschte Entfaltung der in Menschen angelegten Potentiale nicht
systematisch erreicht werden; sehr wohl können aber unbeabsichtigt Konditi-
onierung und Konformismus zum Schaden des persönlichen und gesellschaft-
lichen Lebens bewirkt werden.
Zehntens: Die auf „Humankapital“ gerichtete bildungspolitische Aufmerk-
samkeit bezieht sich auf die Organisation von transitiver Bildung, weil diese
im Sinne der OECD-Parole „Bildung ist die beste Investition“ als Instrument
zur Formierung von Arbeitskräften gesehen wird. Einseitig gesehene, transi-
tive Bildung hat nicht die umfassende Entwicklung menschlich handelnder
11 Erstens der synchrone Prozess zweier Momente: transitiv und intransitiv; zweitens der dia-
chrone Prozess: vorgeburtlich bis zum Lebensende.
12 Bildung als intransitiver Prozess erfolgt auch beiläufig in Folge eigener Erfahrungen im All-
tag, zumeist unbeabsichtigt und unberücksichtigt selbst von und in einschlägigen Schulorga-
nisationen und multifunktionalen Institutionen; z.B. durch die Ausstattung, das Betriebs-
klima oder das öffentliche Ansehen der Institutionen.
13 Bildung wird derzeit durchwegs transitiv verstanden als Tätigkeit, durch die Menschen ge-
formt werden sollen. Intransitive Bildung und intransitives Lernen – also die genuine Ent-
wicklung der je individuellen Persönlichkeit durch Erfahrungen im Fühlen, Wissen, Können
etc. – scheinen gar nicht beachtet zu werden. Die bekannte Metapher des Nürnberger Trich-
ters verdeutlicht das einseitige und einfältige Verständnis.
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Buch Lernprozesse über die Lebensspanne - Bildung erforschen, gestalten und nachhaltig fördern"
Lernprozesse über die Lebensspanne
Bildung erforschen, gestalten und nachhaltig fördern
Veröffentlicht mit Unterstützung der Fakultät für Kulturwissenschaften der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt
- Titel
- Lernprozesse über die Lebensspanne
- Untertitel
- Bildung erforschen, gestalten und nachhaltig fördern
- Autoren
- Monika Kastner
- Jasmin Donlic
- Barbara Hanfstingl
- Herausgeber
- Elisabeth Jaksche-Hoffman
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-SA 4.0
- ISBN
- 978-3-8474-1467-4
- Abmessungen
- 14.7 x 21.0 cm
- Seiten
- 190
- Kategorie
- Lehrbücher