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Wissenschaft verstehenden akademischen Disziplinen „Pädagogik“ und „Er-
ziehungswissenschaft“.
Wesen oder Kernbezug von Bildung ist im sozialwissenschaftlichen Ver-
ständnis die lebenslange Entwicklung zur individuellen Persönlichkeit. Ohne
diesen sozialen Prozess, in dem Individuum und Umwelt interagieren, sind we-
der Reproduktion noch Innovation einer Gesellschaft möglich. Wenn in diesen
Prozess durch Erziehung, Schulung, Ausbildung usw. eingegriffen wird, stel-
len sich die Fragen, nach welchen Normen und Werten, nach welchen Motiven
und mit welchen Zielen eingegriffen wird. Erfolg und Misserfolg der Eingriffe
hängen dabei wie bei allen beabsichtigten Handlungen gegenüber gesellschaft-
lichen Umständen (wie Wirtschaftsflaute oder Wirtschaftsaufschwung, Krieg
oder Frieden), von persönlichem Wissen und Können, von Macht und Einfluss
ab – also generell von gesellschaftlichen Gegebenheiten und persönlichen Ei-
genschaften (opportunities and abilities).
Angesichts der in den letzten Jahrzehnten konjunkturartig immer wieder
einmal aufflammenden bildungspolitischen Diskussionen der letzten Jahr-
zehnte kann erstens behauptet werden, dass diese Diskussionen trotz wieder-
holten Bemühens offensichtlich nicht zum gewünschten Erfolg geführt haben,
und zweitens, dass sie zumeist beschränkt waren und heute noch deutlicher
beschränkt sind. Die erste Beschränkung ist, dass unter Bildung in erster Linie
normative, organisierte Bildung, also Schul- und Ausbildung, verstanden wird;
die zweite, dass hauptsächlich statistisch, also quantitativ, argumentiert wird;
drittens, dass die beschränkt verstandene Bildungspolitik in Bezug auf wirt-
schaftliche Konkurrenzsituationen geführt wird; und schließlich – viertens –,
dass verkaufte „Bildungsangebote“ als Beitrag zum erzielten Brutto-Inlands-
produkt angesehen werden.
Diese unbewussten oder bewussten Beschränkungen des Bildungsver-
ständnisses zeigten sich immer wieder bei den breit geführten bildungspoliti-
schen Diskussionen ab den frühen 1960er Jahren in Denkschriften verschiede-
ner Ministerien sowie anderer, öffentlich auftretender Organisationen bis
heute.
Überdies – und das ist vermutlich ein wesentlicher Grund für wenig erfolg-
reiche „Bildungspolitik“ – wird Bildung, also die lebenslange Persönlichkeits-
entwicklung, zumeist unrichtig „begriffen“: in erster Linie normativ und nur
transitiv in der Bedeutung von Erziehen, Schulen, Ausbilden usw.; danach fast
ausschließlich als ein organisiertes System von Kindergärten, Grund-, Volks-,
allgemeinbildenden und berufsbildenden, Fachhoch- und Hochschulen. In ei-
nem stimmigen sozialwissenschaftlichen Verständnis von Bildungsprozessen
sind die Komponenten persönlicher Bildung als interdependent zu begreifen:
normative, transitive und organisierte Aktionen werden von unbeabsichtigten,
intransitiven und beiläufigen Wirkungen begleitet. Doch um die darin gege-
bene Komplexität der Prozesse erfassen zu können, bedarf es passender Instru-
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Buch Lernprozesse über die Lebensspanne - Bildung erforschen, gestalten und nachhaltig fördern"
Lernprozesse über die Lebensspanne
Bildung erforschen, gestalten und nachhaltig fördern
Veröffentlicht mit Unterstützung der Fakultät für Kulturwissenschaften der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt
- Titel
- Lernprozesse über die Lebensspanne
- Untertitel
- Bildung erforschen, gestalten und nachhaltig fördern
- Autoren
- Monika Kastner
- Jasmin Donlic
- Barbara Hanfstingl
- Herausgeber
- Elisabeth Jaksche-Hoffman
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-SA 4.0
- ISBN
- 978-3-8474-1467-4
- Abmessungen
- 14.7 x 21.0 cm
- Seiten
- 190
- Kategorie
- Lehrbücher