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gesellschaftskritische Ansätze. Diese Perspektiven lehnen die Individualisie-
rung von Behinderung ab und fokussierten gesellschaftliche Strukturen als Ur-
sache für Unterdrückung und Marginalisierung. Das British social model of
disability ist der bekannteste dieser Ansätze, wird jedoch u.a. für seine Einsei-
tigkeit sowie theoretische Verknappung kritisiert (vgl. Barnes 2012). Ein post-
strukturalistisches Verständnis von Behinderung, eine social theory of impair-
ment, kann, in Anlehnung an Foucault, diese Lücken des „sozialen Modells“
füllen (vgl. Hughes 2018).
Bei der Theoretisierung von Elternschaft orientiere ich mich am sozialpä-
dagogischen Begriff der sozialen Bildung (vgl. Sting 2010), der den institutio-
nellen Bildungsbegriff auf eine Lebensbildung erweitert. Somit definiere ich
Elternschaft als Form sozialer Bildung bzw. als „biographisches Lernen“ (vgl.
Schmidtz-Wenzel 2008: 165ff). Familie betrachte ich u.a. unter dem Aspekt
des doing-family (vgl. Jurczyk/Lange/Thiessen 2014), der Familie als relatio-
nale Herstellungsleistung definiert.
Mit der Pluralisierung von Familie als Lebensform wandeln sich auch Vor-
stellungen „normaler“ Elternschaft, denn diese werden nicht mehr festgemacht
an äußerlichen familiären Konstellationen, sondern einer angenommenen Un-
fähigkeit einer „neuen Unterschicht“ (vgl. Oelkers/Gaßmöller/Feldhaus 2010).
Eine solche „Unterschicht“ entsteht u.a. durch Normalisierungstendenzen in
der Sozialen Arbeit, welche samt ihrer Mittelschichtorientierung kritisch in
den Blick genommen werden muss.
Behinderte Eltern entsprechen nicht typischen Familienleitbildern (vgl. Di-
abaté/Lück 2014), was nicht nur durch Behinderung als konstruierte Abwei-
chung von der Norm deutlich wird, sondern auch dadurch, dass Behinderung
und Elternschaft meist nicht zusammen gedacht werden. Die simultane Absenz
sowie Omnipräsenz des Phänomens Behinderung im gesellschaftlichen Dis-
kurs im Allgemeinen, nähren somit die Stabilität des Ableism1 (vgl. Campbell
2009), der im Konkreten nicht zuletzt die Elternschaft von Menschen mit Lern-
schwierigkeiten betrifft.
Forschungsstand
Ungeachtet der hartnäckigen Forschungslücke hierzulande (in Österreich2)
gibt es international seit 30 Jahren Forschung zum Leben von Eltern mit Lern-
schwierigkeiten und ihren Kindern. Bereits Ende der 1980er haben Tymchuck
1 Ableism ist ein System (sozialer) Praktiken, das Nichtbehinderung gegenüber Behinderung
kontinuierlich präferiert und dadurch behinderte Menschen abwertet (vgl. Campell 2009).
2 Abgesehen von einigen Master- bzw. Diplomarbeiten ab dem Jahr 2002.
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Buch Lernprozesse über die Lebensspanne - Bildung erforschen, gestalten und nachhaltig fördern"
Lernprozesse über die Lebensspanne
Bildung erforschen, gestalten und nachhaltig fördern
Veröffentlicht mit Unterstützung der Fakultät für Kulturwissenschaften der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt
- Titel
- Lernprozesse über die Lebensspanne
- Untertitel
- Bildung erforschen, gestalten und nachhaltig fördern
- Autoren
- Monika Kastner
- Jasmin Donlic
- Barbara Hanfstingl
- Herausgeber
- Elisabeth Jaksche-Hoffman
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-SA 4.0
- ISBN
- 978-3-8474-1467-4
- Abmessungen
- 14.7 x 21.0 cm
- Seiten
- 190
- Kategorie
- Lehrbücher