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25 | www.limina-graz.eu kann sie auch – und muss es kraft seines Amtes und Auftrags auch – mit-
tels seines Wissens disziplinieren. Damit hat der Hirte für jedes einzelne
Mitglied seiner Herde eine doppelt individualisierte Verantwortung.
Überwachen und Bewachen, Kontrolle und Schutz gehen in der Pastoral-
macht eine ganz eigene und unlösbare Symbiose ein. Die Aspekte von Ver-
sorgung und Behütung einerseits sowie Disziplinierung und Bewachung
andererseits finden zuerst im Bekenntnis bei der Taufe, schließlich in
Struktur und Praxis der nach und nach eingeführten individuellen Beichte
ihren zentralen Ort. Das Wahrsprechen des eigenen Lebens in Bekenntnis
und Beichte ist eine Form des Austausches zwischen Hirt und Herde, die
in besonderer Weise von den beiden Polen des Strafens und Belohnens ge-
prägt ist und um einen Diskurs des Geständnisses und des Wissens kreist.
Im Geständnis des Pastorierten zur Wahrheit seines Lebens gegenüber der
Gemeinde, später gegenüber dem Pastor, geht es um alles: um das richtige
Leben hier und das ewige Heil dort. Es geht buchstäblich um Leben und Tod.
„Wir müssen“, so Foucault, „unablässig belegen, was wir sind. Wir
müssen uns selbst überwachen, in uns die Wahrheit hervorholen und
denjenigen darbieten, die uns beobachten, die uns überwachen, die uns
beurteilen und die uns führen, wir müssen den Hirten also die Wahrheit
dessen, was wir sind, offenbaren.“ (Foucault 2014, 217)
Das ist die Voraussetzung der Abtötung („Mortifikation“) des alten Ichs,
des Ringens mit dem „Anderen in sich“: „Uns mortifizieren und mit dem
Anderen ringen“. Mit der „Einführung dieser beiden Komponenten“ durch
das Christentum, „die der antiken Kultur völlig fremd“ gewesen seien, be-
wege sich „das Problem der Subjektivität, das Thema der Subjektivität und
[der Verbindung] Subjektivität – Wahrheit [von] der antiken Kultur voll-
ständig weg.“ (Foucault 2014, 217–218; eckige Klammern im Original)
Die Pastoralmacht muss möglichst viel, eigentlich alles vom Leben der Pas-
torierten wissen, der Pastorierte daher tendenziell alles von seinem Leben
selbst erkunden, ausleuchten, diskursivieren und gestehen.
„Das Christentum gewährleistet das Heil eines jeden, indem es bestätigt,
dass er tatsächlich ganz anders geworden ist. Die Beziehung Regierung
der Menschen/Manifestation der Wahrheit ist vollkommen neu organ-
Rainer Bucher | Die aktuelle Logik der Welt
Überwachen und Bewachen, Kontrolle und Schutz gehen
in der Pastoralmacht eine unlösbare Symbiose ein.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 1:1
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 1:1
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 236
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven