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27 | www.limina-graz.eu „unter Gouvernementalität den Vorgang oder eher das Ergebnis des Vor-
gangs […], durch den der Gerechtigkeitsstaat des Mittelalters, der im 15.
und 16. Jahrhundert zum Verwaltungsstaat geworden ist, sich Schritt für
Schritt ‚gouvernementalisiert‘ hat.“ (Foucault 2000, 65)
Der Staat übernimmt nach und nach Überwachen und Bewachen, Sorge
und Kontrolle: Die vom Christentum entwickelten Regierungstechniken
„säkularisieren“ sich. Die neuzeitliche Gouvernementalität hat mithin, so
Foucault, ein „archaische[s] Vorbild“: das „christliche[...] Pasto
rat[...]“
(Foucault 2000, 66–67). Dieses christliche Pastorat verbindet sich im
mo dernen Staat mit anderen, vom Staat selbst entwickelten Regierungs-
techniken:
„Das Pastorat, die neue diplomatisch-militärische Technik und schließ-
lich die Policey sind meines Erachtens die drei großen Elemente gewesen,
von denen ausgehend dieses fundamentale Phänomen in der Geschichte
des Abendlandes zustande kommen konnte, das die Gouvernementali-
sierung des Staates gewesen ist.“ (Foucault 2000, 67)
Der Staat selbst ist denn auch „nichts anderes als der bewegliche Effekt
eines Regimes vielfältiger Gouvernementalität“ (Foucault 2000, 70). Klaus
Lemke hält fest: „Foucaults Regierungsanalyse liegt die historische An-
nahme zugrunde, daß die pastoralen Führungstechniken Subjektivierungs-
formen hervorbrachten, auf denen der moderne Staat und die kapitalisti-
sche Gesellschaft aufbauten.“ (Lemke 2001, 111)
Freilich bleibt ein Unterschied. Die „Regierung von Menschen“ fordert
im Unterschied zur christlichen „Regierung der Seelen“ eine eigene, neue
Reflexion auf ihre Voraussetzungen, Gegenstände und Ziele. Das ist die
Geburtsstunde der „politischen Vernunft“ als eines Begründungs- und
Orientierungskonzeptes jenseits theologischer Prinzipien oder auch indi-
vidueller Interessen eines Fürsten. Die Säkularisierung der Pastoralmacht
betrifft also nicht nur ihre Trägerinstitution, sondern auch ihre Ziele und
die Diskurse ihrer Legitimation und Konzeption. Die zentralen Begriffe
kirchlicher Pastoralmacht – etwa Heil, Glück, Erlösung – werden dabei
nicht ausgetauscht, vielmehr grundlegend neu interpretiert.
Rainer Bucher | Die aktuelle Logik der Welt
Der Staat übernimmt nach und nach Überwachen und Bewachen, Sorge und
Kontrolle. Die zentralen Begriffe kirchlicher Pastoralmacht werden dabei
nicht ausgetauscht, vielmehr grundlegend neu interpretiert.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 1:1
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 1:1
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 236
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven