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38 | www.limina-graz.eu legenden Artikulation dieser Formation als das von ihr Negierte akzep-
tiert, der Ort der Negation jedoch durch die inneren Parameter der For-
mation selbst definiert ist.“ (Laclau/Mouffe 2015, 176)
Auf der Basis dieses anti-essentialistischen Hegemonie-Begriffs soll der
Begriff des kulturell hegemonialen Kapitalismus über das bisher Gesagte
hinaus entwickelt werden. Er meint nicht die kulturellen Strategien, mit
denen der Kapitalismus seine Alternativlosigkeit in der Zivilgesellschaft
platziert, er meint auch nicht, dass nur eine, nämlich die kapitalistische
Lebens- und Denkweise existiert, und schon gar nicht, dass diese im Klas-
senkampf überwunden werden kann, insofern Klassen die exklusiven
Träger kultureller Hegemonialität und ihrer Überwindung wären.
Der Begriff des kulturell hegemonialen Kapitalismus meint vielmehr je-
nen gesellschaftlichen Zustand, in dem kapitalistische Prinzipien wie die
Simmelschen, also Entgrenzung, Quantifizierung, Entsubstantialisie-
rung und Rationalisierung, anders gesagt: Wettbewerb, Verdinglichung
(vgl. Honneth 2015), Kommodifizierung, Monetarisierung, extrinsische
Motivations anreize, dichte Rückkopplungsnetze, und damit verbun-
den jenes berühmte Verdampfen „alles Ständische[n] und Stehende[n]“
(Marx/Engels 1977 [1848], 465), wie es im Kommunistischen Manifest
heißt, wo all diese ungeheuer erfolgreichen Dynamisierungsprozesse, die
ja auch Befreiungs prozesse aus den ständischen Schalen des Geschlechts,
der Nation, der Religion, der Geburtsfamilie sind, wo all diese großen Ver-
sprechen des Formalen und Effektiven und Dynamischen, die der Kapita-
lismus gibt, sozial so dominant geworden sind, dass sie sich tief ins Selbst
einschreiben, dass sie dieses Selbst wenn nicht umfassend determinieren,
so doch dominieren und seine grundlegende Ordnung bestimmen.
Der kulturell hegemoniale Kapitalismus schreibt die aktuelle Logik der
Welt. Anderes gibt es in ihm, der Hegemon ist nicht imperial, und weder
das Soziale noch das Selbst sind geschlossene Systeme. Aber der kulturell
hegemoniale Kapitalismus setzt die geltende Ordnung im Sozialen und,
jenem korrespondierend, jene des Selbst. Denn ein unkorrumpierbares,
dekontextualisiertes Selbst ganz im eigenen Inneren ist eine idealistische
Fiktion.
Rainer Bucher | Die aktuelle Logik der Welt
Kulturell hegemonialer Kapitalismus meint jenen gesellschaftlichen Zustand,
in dem kapitalistische Prinzipien so dominant geworden sind, dass sie sich
tief ins Selbst einschreiben.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 1:1
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 1:1
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 236
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven