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43 | www.limina-graz.eu Certeau unterscheidet dabei in Anlehnung an die MilitĂ€rwissenschaft âStrate-
gienâ und âTaktikenâ. Strategien setzen voraus, dass ein âmit Macht und Wil-
lenskraft ausgestattetes Subjekt [âŠ] von einer âUmgebungâ abgelöst werden
kannâ, sie setzen mithin âeinen Ort voraus, der als etwas Eigenes umschrieben
werden kann und der somit als Basis fĂŒr die Organisierung seiner Beziehungen
zu einer bestimmten AuĂenwelt [âŠ] dienen kann.â (Certeau 1988, 23) Als âTak-
tikenâ bezeichnet Certeau dann ein
âKalkĂŒl, das nicht mit etwas Eigenem rechnen kann und somit auch nicht mit
einer Grenze, die das Andere als eine sichtbare TotalitÀt abtrennt. Die Taktik
hat nur den Ort des Anderen. Sie dringt teilweise in ihn ein, ohne ihn vollstÀn-
dig erfassen zu können und ohne ihn auf Distanz halten zu können.â (Certeau
1988, 23)
Es kann hilfreich sein, diese Unterscheidung fĂŒr die Erörterung der Frage zu
verwenden, ob und wenn ja, wie es möglich ist, im kulturell hegemonialen
Kapitalismus ihm nicht zu verfallen. Immerhin entwickelt Certeau diese Unter-
scheidung am Àhnlich gelagerten Problem des kapitalistischen Konsumenten,
welcher der verfĂŒhrerischen Warenproduktion des Kapitalismus als Anreiz zum
Konsum gleichzeitig unentrinnbar unterworfen ist, ihr aber doch auch nicht
hilflos ausgeliefert bleibt, ohne dass Certeau dabei der Fiktion unterliegt, der
Konsument könnte und hĂ€tte ein âstarkes Subjektâ zu sein. Es zeigt sich, worauf
es ankÀme: Es gilt die Fiktion zu vermeiden, das Individuum wÀre in der Lage,
strategisch einen AuĂenort einzunehmen, der nicht involviert wĂ€re in den allge-
meinen kapitalistischen Zusammenhang, man darf sich aber auch nicht damit
zufriedengeben, rein taktisch ânur den Ort des Anderenâ zu bespielen. Will rein
strategisches Denken zu viel, so reine Taktik zu wenig: Wie im MilitÀrischen
kommt es auch hier darauf an, Strategie und Taktik im konkreten âEreignisâ
des Handelns situativ und risikobereit zu verbinden.
Die Rolle des Eigenen gegenĂŒber der herrschenden TotalitĂ€t liegt in der FĂ€hig-
keit zur Herstellung kreativer Differenzen auf der Basis eines Eigenen in den
Taktiken des AlltĂ€glichen jenseits der Illusion eines unberĂŒhrten AuĂen. Die-
ses Eigene, das ist festzuhalten, ist nicht in einem starken Subjekt gesichert.
SpÀtestens seine postmoderne Existenz ist stets Existenz im Raum eines dy-
namischen Feldes voller symbolischer Formen, Praktiken und Institutionen,
denen es sich nÀhern, mit denen es arbeiten, die es einsetzen kann, die es zur
eigenen Wirklichkeits- und Daseinsdeutung und zu seiner Handlungsorientie-
rung verarbeiten kann â oder auch nicht.
Bei der Frage nach möglichen Strategien und Taktiken des Christlichen im
kulturell hegemonialen Kapitalismus geht es also nicht nur und, wohl gerade
Rainer Bucher | Die aktuelle Logik der Welt
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 1:1
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 1:1
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 236
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven