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54 | www.limina-graz.eu familiär sein, nicht gemeindeöffentlich; die Feier soll den privaten Rah-
men wahren, auch wenn sie im Sakralraum einer Kirchengemeinde durch-
geführt wird. Dieser wird eher als ein Schutz- und Segensraum für die
Akti vierung einer göttlichen Kraftsphäre denn als Kommunikations- und
Feierraum einer Kirchengemeinde in Anspruch genommen. Die häu-
fig eingerichteten Taufnischen bzw. geschützten Tauforte innerhalb der
Kirchenräume unterstützen diese Erwartung. In den Texten, Gesten und
Symbolhandlungen der Feier wird vor allem auf Schutz und Segen für
das Kind und sein fami liäres Umfeld, aber auch für größere Lebensper-
spektiven, die weit über den Familienkontext hinausreichen, Wert gelegt
(Müller 2010).
Die hier am Beispiel der Taufe dargestellten Befunde bestätigen die reli-
gionsphilosophische These Johann Figls, wonach im Kontext spätmoder-
ner Gesellschaften gelte, dass „für das religiöse Ritual […] die religiösen
Traditionen vorgegeben [sind], jedoch nicht als unhinterfragbare Vorga-
ben, sondern als Angebote der anthropologischen Selbstexplikation“ (Figl
1999, 203). Sowohl auf der Linie der Erwachsenen- oder Gläubigentaufe als
auch auf der Linie der Kleinkindertaufe im Sinn eines Schutz- und Segens-
rituals ist das Motiv der (zwischen-)menschlichen Selbstexplikation mit
mehr oder weniger starken Transzendenz-Erwartungen relevant. Geht es
im ersten Fall stärker um die persönliche Entscheidung für ein bestimm-
tes Identitätsmodell und seine explizite Darstellung im Raum kirchli-
cher Selbst explikation, so suchen Menschen in der Taufe im Sinn eines
Schutz- und Segensrituals vorrangig die Gewährung einer göttlichen oder
transzendenten Kraft, die angesichts der Offenheit und Ausgesetztheit
neuen Lebens Geborgenheit und einen guten Weg verheißt. Hier wird kein
persönliches oder soziales Identitätsmodell ratifiziert, sondern die offene
und unkalkulierbare Identität des Kindes unter das Hoffnungszeichen einer
begleiteten und behüteten Geschichte gestellt. „Idealtypisch verdichtet,
handelt es sich um Menschen, die sehr genau um die Prekarität, die Un-
wägbarkeiten und Risiken des Lebens wissen. Ihre Entscheidung, an den
Kasualien teilzunehmen, entwerfen sie in diesen Lebenshorizont hinein.“
(Först 2010, 81) Diese Form von Selbstexplikation steht wesentlich stärker
unter dem Eindruck spätmoderner Lebenskonzepte – deren gemeinsames
Charakteristikum in lebenslangen und stets riskanten Suchbewegungen
Peter Ebenbauer und Isabelle Jonveaux | Zwischen Selbstermächtigung und Unterwerfung
Rituale als Haltepunkte in lebenslangen und stets riskanten
Suchbewegungen und Veränderungen.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 1:1
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 1:1
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 236
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven