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55 | www.limina-graz.eu und Veränderungen liegt – als die in der Gläubigentaufe implizierte Über-
nahme einer bestimmten Identitäts-Figur.
In unserem thematischen Kontext erscheint allerdings interessant, dass
sich auf beiden Linien durchaus spannungsvolle Aspekte von Selbster-
mächtigung und Unterwerfung finden, wenn auch in unterschiedlichen
Bezügen zu religiösen und/oder sozialen Größen (Hödl/Pock/Schweighofer
2017). Die Gläubigentaufe ermächtigt durch das nicht nur rituell prokla-
mierte, sondern performativ realisierte Glaubensbekenntnis zu einem
spezifischen Verständnis der eigenen Person und ihrer Orientierung im
Lebensganzen, impliziert gerade darin aber auch – nicht zuletzt durch die
christlich-religiöse Dialektik von Selbstgewinn und Selbsthingabe – die
Ăśbereignung oder Unterwerfung unter eine Lebensmacht, die nicht ein-
fach im Eigenen gegeben ist, sondern von auĂźen, durch eine transzendente
gött liche Instanz gestiftet ist.
Anders bei der Schutz- und Segenstaufe: Hier ereignet sich die Selbster-
mächtigung eher indirekt durch die im Ritual mehr oder weniger stark
erfahrenen Momente und GefĂĽhle des Anerkannt- und Geborgenseins,
die im besten Fall eine (vorübergehende) Stabilisierung und Stärkung der
persönlichen und sozialen Lebensumstände mit sich bringen. Momente der
Auslieferung oder Unterwerfung sind hier vor allem dort zu orten, wo die
Schutz- und Segensmacht mehr oder weniger reflektiert bei den im Ritual
dafür zuständigen Personen und deren religiösem Hintergrund verortet
bleibt – ein Hintergrund, der freilich immer eine Deutungs- wie auch eine
Handlungsmacht gegenüber den „EmpfängerInnen“ impliziert.
Die spätmoderne Variante der Taufe als Schutz- und Segensritual liegt da-
her näher an einem magischen Verständnis ihrer Wirkweise bzw. einem
übernatürlichen religiösen Vermittlungshandeln, das durch bestimmte
Rollenträger im Ritual gewährleistet wird, als die Gläubigentaufe. Bei letz-
terer erscheint denn auch das Machtgefälle zwischen den Akteuren deutlich
geringer, bis dahin, dass die traditionelle Rollendichotomie von „Spender“
(kirchlicher Amtsträger) und „Empfänger“ (Täufling) relativiert erscheint.
So betrachtet erweist sich die Gläubigentaufe als ein potentiell stärker
emanzipatorisches Ritual der Selbstbestimmung als die trotz signifikanter
Rückgänge immer noch verbreitete Kleinkindertaufe.
Peter Ebenbauer und Isabelle Jonveaux | Zwischen Selbstermächtigung und Unterwerfung
Im kirchlichen Taufritual finden sich spannungsvolle Momente
von Selbstermächtigung und Unterwerfung.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 1:1
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 1:1
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 236
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven