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61 | www.limina-graz.eu Ähnlich verhält es sich mit säkularen Formen der Askese. Laut Mario Erd-
heim kann Askese als ein Mittel definiert werden, das die Macht des Indivi-
duums über sich selbst verstärkt. Aus vielen Traditionen ist bekannt, dass
sich der Asket mit der Übung alltäglichen Verzichts und mit Selbstkontrolle
gegen Versuchungen schützt und sich für den großen Kampf vorbereitet.
„Der Asket, der sich wie der heilige Antonius den schlimmsten Verfüh-
rungen aussetzt, und ebenso der Spieler, der alles auf eine einzige Zahl
setzt, sind von ihrer Allmacht überzeugt. […] Dadurch wird Askese zu
einer Übung für Grenzüberschreitungen. Das, was jenseits der Grenzen
des Alltags ist, weckt Angst.“ (Erdheim 2002, 26)
Auch die säkularen Formen der Askese verfolgen das Ziel, die Kontrolle
über sich selbst wieder zu gewinnen. Der Kampf richtet sich nicht mehr ge-
gen Dämonen wie beim heiligen Antonius, sondern gegen innere „Versu-
chungen“, aber auch gegen externe Kräfte, die etwa von den Postulaten der
Konsumgesellschaft ausgehen. Das kann dann bedeuten, durch Verzicht die
Kontrolle über seine Ernährung wieder zu erlangen, über seinen Konsum
oder über die Verwendung digitaler Medien. Durch asketische Übungen
trainieren die AkteurInnen, sich in bestimmten Bereichen zu kontrollie-
ren, damit sie überhaupt die Kontrolle über sich selbst wieder in die eige ne
Hand nehmen können.
Allerdings stellt sich an diesem Punkt die Frage, ob nicht die Kräfte der
Ökonomie und der Konsumgesellschaft ihrerseits durch ritualisierte Hand-
lungszusammenhänge die individuellen und sozialen Ordnungen in einem
noch viel stärkeren Ausmaß beeinflussen als traditionell religiöse wie auch
neue säkular kontextualisierte Rituale der Selbstkontrolle oder der Selbst-
ermächtigung.
4. Markt und Ritual: ein machtvoller Mechanismus
Mit der Autonomisierung von Ritualen gegenüber religiösen Institutionen
stellt sich auch die Frage ihrer Ökonomisierung. Laut der Typologie von
Max Weber waren bzw. sind Priester „die Funktionäre eines regelmäßi-
gen organisierten stetigen Betriebs der Beeinflussung der Götter.“ (Weber
1972 [1921/22], 259). Sie vermitteln religiöse Güter als Dienstleistungen
der religiösen Institution, und die Gläubigen haben einen Anspruch auf
diese Güter, ohne dafür jedes Mal bezahlen zu müssen. Dem gegenüber
steht nach Weber der „Zauber“ als die „individuale Inanspruchnahme von
Peter Ebenbauer und Isabelle Jonveaux | Zwischen Selbstermächtigung und Unterwerfung
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 1:1
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 1:1
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 236
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven