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LIMINA - Grazer theologische Perspektiven
Limina - Grazer theologische Perspektiven, Band 1:1
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64 | www.limina-graz.eu betonen, dass sie keine Gurus sind, nicht zuletzt um sich von Sekten zu dis- tanzieren. Das Individuum hat also den Eindruck, dass es sich diese aske- tischen Praktiken selbst vornimmt. Eine Fastenwoche ist jedoch nicht frei von einem Überwachungssystem (Foucault 1975). Der Grundpfeiler dieses Systems ist die soziale Kontrolle unter den TeilnehmerInnen, die den gan- zen Tag zusammen verbringen und dadurch wenig Möglichkeiten haben, die Regeln des Fastens zu übertreten. Dazu kommen die Organisation des Raums und der Zeit. Die erschöpfende Organisation der Zeit ist laut Foucault ein Dispositiv der Überwachung (Foucault 1975, 180). Die soziale Kontrolle der Gruppe wird von den TeilnehmerInnen sogar erwartet, nämlich als eine Hilfe in der Durchführung der asketischen Praxis. In diesem Sinn kann man von Selbstunterwerfung sprechen. Der Mechanismus: Selbst unterwerfung, um die Selbstermächtigung zu erhöhen, entspricht auch dem, was man ge- genwärtig im Rahmen des Coachings beobachtet. Roland Gori und Pierre Le Coz, die das professionelle Coaching untersuchen, behaupten: „die Unter- werfung des Individuums erfolgt durch die Psychologisierung der beruf- lichen Aktivitäten“6 (Gori/Le Coz 2007, 75). Die Unterwerfung unter ver- schiedene Zwänge wird zum Ort der Persönlichkeitsentwicklung (Gori/Le Coz, 2007, 75). „Aus diesem Grund ist Coaching das Symptom einer Zivilisation der freiwillig eingegangenen Unterwerfung, die sich über alle neoliberalen Demokratien erstreckt. Seine starke Ausbreitung genau in einer Zeit, in der man mehr denn je verlangt, dass Individuen autonomer werden, macht die Krise des sozialen Zusammenhalts in einer besonderen Weise sichtbar. Jeder ist zurückgeworfen auf die Einsamkeit seines Schicksals und auf die Verantwortlichkeit für die Ereignisse in seinem Leben.“7 (Gori/Le Coz 2007, 81) Zusammenfassend lässt sich sagen: Auf individueller und gruppenspezi- fischer Ebene zeugen neue rituelle Handlungsformen von der Suche nach Selbstbestimmung, bewusster Teilhabe und Mitgestaltung eines sinnvol- len Lebenszusammenhangs, der über bloße Zweck- und Nutzenkalküle hinausweist. Manipulationen und Unterwerfungsstrategien sind aus rituell gestützten Praktiken und Ordnungen jedoch noch keineswegs verschwun- den. Vielmehr sind sie von religiösen Institutionen zu einem guten Teil in ökonomische bzw. von ökonomischen Prinzipien durchdrungene Systeme emigriert. Dort wirken sie nach wie vor mit großer Effizienz und Resistenz. In den Residuen institutionalisierter religiöser Rituale lässt sich bei deut- lich beobachtbaren Transformationen – im Sinn von aktiver Mitgestaltung Peter Ebenbauer und Isabelle Jonveaux | Zwischen Selbstermächtigung und Unterwerfung 6 Im Original: „la soumission des individus passe par la psychologisa- tion de l’activité professionnelle“ (Übers. I.J.). 7 Im Original : „À ce titre, le coach- ing est le symptôme d’une civilisa- tion de «soumission librement con- sentie» (Joule, Beauvois, 1998) qui s’étend à l’ensemble des démocra- ties néolibérales. Sa prolifération dans le temps même où l’on de- mande plus que jamais aux individus d’être plus autonomes joue comme révélateur privilégié de la crise du lien social. Chacun est renvoyé à la solitude de son destin et à la respon- sabilité des événements de sa vie.“ (Übers. I.J.) Gruppenwanderung im Rah- men einer Fastenwoche Foto: Isabelle Jonveaux
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Limina Grazer theologische Perspektiven, Band 1:1
Titel
Limina
Untertitel
Grazer theologische Perspektiven
Band
1:1
Herausgeber
Karl Franzens University Graz
Datum
2018
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC 4.0
Abmessungen
21.4 x 30.1 cm
Seiten
236
Kategorien
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