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73 | www.limina-graz.eu (V. 9) mit anderen Leid- und Unterdrückungssituationen parallelisiert und
ein Loblied auf Gott gesungen, der die am Boden Liegenden aufrichtet und
ihnen Ehrenpositionen gibt (Ps 113,7–8 = 1 Sam 2,8). Damit spiegelt Han-
nas Erfahrung von Erniedrigung jene des Volkes (vgl. 1 Sam 9,16), in ihrer
Erfahrung von Befreiung erfüllen sich exemplarisch die Hoffnungen der
Gedemütigten. Ihre Aussagen „gewinnen dadurch zugleich eine öffentliche
und politische Dimension“ (Schottroff 1989, 29). Daher kann sie auch als
Prophetin bezeichnet werden: „Mit dem Lied der Hanna wird die prophe-
tische Funktion, die Samuel sodann übernimmt, vorerst auf seine Mutter
übertragen, die mit ihrem Antwortlied auf das Handeln Gottes an ihr, das
Bedeutung für ganz Israel bekommen wird, in die Nachfolge Mirjams tritt.“
(Fischer 2002, 125–126)
Im Kern handelt es sich um einen hymnischen Lobpreis Gottes als des
einzig und wahrhaft Mächtigen, der allein Macht verleiht. Damit verbin-
det sich eine warnende Belehrung der Machthabenden, nicht übermütig zu
werden, da menschliche Macht fragil und begrenzt ist, sowie auf der an-
deren Seite der Medaille ein empowerment (vgl. das Leitmotiv „erhöhen“/
םור bzw. ὑψόω in 1 Sam 2,1.7.8.10) der Machtlosen, nicht mutlos zu werden,
da Gott in seiner schöpferischen Allmacht die Geschicke wenden kann und
als allwissender (V. 3) und gerechter (V. 2 LXX) universaler Richter (V. 10)
die herrschenden Ordnungen umstürzt.
So schließt sich an Hannas Freude über JHWHs Hilfe (V. 1, nach der
griechischen Textüberlieferung der Septuaginta [= LXX] wurde wegen der
„Rettung“/σωτηρία ihr Herz „stark gemacht“7) ein Bekenntnis zu des-
sen Heiligkeit (vgl. auch V. 10 LXX) und Einzigkeit (ebenso in Ex 15,11 be-
sungen) – sowie seiner zuverlässigen, Sicherheit gewährenden Macht,
ausgedrückt im Bild des „Fels“ im hebräischen Text (MT) von V. 2 (vgl.
bes. 2 Sam 22,3.32.47; Jes 44,8). Nur in diesen beiden einleitenden Versen
spricht Hanna JHWH unmittelbar an, ansonsten dominieren Aussagen über
die Gottheit. Gleich darauf (V. 3) folgt eine Warnung, direkt adressiert an
ihre „Feinde“ (siehe V. 1; vgl. dazu Ps 75,5–6, wo noch weitere intertextu-
elle Bezüge vorliegen); in der Erzählung von 1 Sam 1 muss in der Figur der
Peninna freilich eine Frau als Sprachrohr für die erlittenen Demütigungen
herhalten (vgl. V. 6–7). Die Vermessenheit der „hochfahrenden“ Reden
liegt darin, den Platz Gottes zu beanspruchen.
Andrea Taschl-Erber | Die Macht der Ohnmächtigen
Hannas Lied spiegelt Erniedrigung
und Hoffnungen der Gedemütigten.
7 Vgl. demgegenüber ihre Situation
in 1,8.10.15–16. Als ihre Stärke und
ihren Retter preisen die Betenden
JHWH auch in Ex 15,2 par. Ps 118,4;
Jes 12,2.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 1:1
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 1:1
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 236
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven