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79 | www.limina-graz.eu Wenn Judit im assyrischen Lager als von männlicher Gewalt bedrohte Frau
(welche das gefährdete Gottesvolk spiegelt)17 dem mächtigen Heerführer
und erfolgreichen Kriegsherrn, wie Holofernes im ersten Teil des Buches
porträtiert wird,18 gegenübertritt, entspricht die Erzählung zunächst tra-
ditionellen geschlechtsspezifischen Rollenerwartungen (zu altorientali-
schen Genderstereotypen in der Kriegsideologie, die auch im AT ihren
Niederschlag finden, siehe Bergmann 2008). Doch die einem patriarcha-
len Codex verpflichteten Männlichkeits- und Weiblichkeitsideale werden
am Zenit der Handlung gekippt: Korrespondierend zur Warnung der
δυνατῶν in 1 Sam 2,4.10, verliert der Kriegsheld (Jdt 16,6: „ihr Mächtiger“,
ὁ δυνατὸς αὐτῶν), verblendet durch seinen begehrlichen Blick angesichts
Judits Schönheit, buchstäblich seinen Kopf (durch sein eigenes Schwert)
– und das kopflos gewordene Heer ergreift die Flucht (vgl. die Niederlage
Nikanors in 2 Makk 15).
Gegenüber dem Repräsentanten der assyrischen/babylonischen/persi-
schen/seleukidischen Gewaltmacht (die Reihe ließe sich aktualisierend
noch weiter fortsetzen) verkörpert Judit die – nicht nur von Holofernes
in 6,219 in Frage gestellte – rettende Macht der Gottheit Israels (die sich
gerade etwa in „Frau Weisheit“ offenbart, vgl. z. B. Weish 9–11). In Judits
„Schönheit“ strahlen ihre Gottesfurcht und Weisheit sowie die „Herrlich-
keit“ JHWHs auf (Zenger 2004, 836). Während Nabuchodonosor durch
seinen Feldherrn die Welt in einem gigantischen Krieg unterwerfen will,
wendet sich Judit an JHWH/κύριος, „der Kriege zerschlägt“ (συντρίβων
πολέμους), wie sie nicht nur in ihrem großen, auf die Ereignisse voraus-
schauenden Gebet (Jdt 9,7), sondern auch am Beginn des resümierenden
Dankliedes (16,2), das sie danach zum Lobpreis der rettenden Gottheit
anstimmt,20 in Erinnerung ruft (vgl. die intertextuellen Bezüge in Ex 15,3
LXX, im Lied Moses und Mirjams, sowie in Jes 42,13 LXX – jeweils im Un-
terschied zur hebräischen Textfassung, welche JHWH als Krieger preist;
außerdem Ps 45,10 LXX [= 46,10]; 75,4 LXX [= 76,4]; Hos 2,20 LXX, wo sich
das „Zerschlagen“ auf die Waffen bezieht, um so die Kriege zu beenden).
Nicht männliche (vgl. 16,6) bzw. militärische Stärke bringen die Rettung,
sondern diese vollzieht sich „durch die Hand einer Frau“ (9,10; 16,5), die
ihre Kraft von Gott erhält (9,9; vgl. 13,7; ferner 1 Sam 2,1.9):
Andrea Taschl-Erber | Die Macht der Ohnmächtigen
17 So singt sie am Schluss auch mit
„ganz Israel“ (15,14), in Erinnerung
an den Exodus: „er entriss mich aus
der Hand der mich Verfolgenden“
(16,2); vgl. Ex 3,8; 14,4.8–9.23; 15,9;
18,9–10.
18 Vgl. auch Judits Schmeichelei
in 11,8.
19 Vgl. dazu 2 Kön 18,19–35 = Jes
36,4–20; 2 Chr 32,10–19.
20 Ausführlich zu Gebet und Lied:
Schmitz 2004, 223–317.351–417.
Judit verkörpert die rettende Macht der Gottheit Israels.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 1:1
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 1:1
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 236
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven