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96 | www.limina-graz.eu Theoretische Vorüberlegungen zum Faktor Religion im Konflikt
Um das theoretische Fundament für die folgenden Überlegungen vorzu-
bereiten, sei zunächst der Begriff von Religion etwas umrissen. Dazu gibt
es in der wissenschaftlichen Debatte alles andere als einen Konsens. Lin-
da Woodhead führt die Unstimmigkeiten auf verschiedene Konzepte des
Phänomens Religion zurück, die sich je auf unterschiedliche theoretische,
kulturelle oder methodische Kontexte beziehen. Daraus folgt, dass vonein-
ander abweichende Definitionen von Religion von unterschiedlicher onto-
logischer Qualität sind bzw. sich auf verschiedene Dimensionen sozialer
Wirklichkeit beziehen. Anstatt nun eine bestimmte Definition gegen an-
dere auszuspielen, sollte die Wahl der Definition vom jeweiligen Kontext
abhängen, der für eine gewisse Problemstellung relevant ist. (Woodhead
2011, 121–123) Owen Frazer und Richard Friedli (2015) haben Woodheads
Ansatz für den Bereich der Konfliktanalyse und des Peacebuilding adap-
tiert. Sie schlagen fünf Dimensionen von Religion vor, die in Konflikten von
Relevanz sind: Religion als Gemeinschaft, als Sammlung von Lehren, als
Spiritualität, als Praxis oder als Diskurs.
Der Begriff der Religion bezieht sich also auf mehrere Dimensionen der
sozialen Wirklichkeit. Konflikte, die sich als religiöse artikulieren, kön-
nen nun je einer oder mehrerer dieser Dimensionen zugeordnet werden.
Oftmals ist etwas undifferenziert von religiösen Konflikten die Rede. Dabei
stellt sich zumindest die Frage, wie groß die Rolle von Religion in einem
Konflikt sein muss, um einen Konflikt religiös nennen zu können. Mo
nica
Duffy Toft plädiert für die Verwendung dieser Begrifflichkeit auch bei einer
bloß peripheren Rolle von Religion, etwa auch im Falle der Involvierung von
Konfliktakteuren, die sich entlang einer gemeinsamen religiösen Identität
konstituiert haben. (Toft 2007, 97) Jonathan Fox sieht einen Konsens über
eine breite Definition religiöser Konflikte. Dementsprechend schlägt er
vor, von religiösen Konflikten zu sprechen, wenn zumindest eine der fol-
genden drei Bedingungen erfüllt sind: 1. die Konfliktakteure gehören un-
terschiedlichen Religionen an; 2. die Akteure gehören unterschiedlichen
Bekenntnissen derselben Religion an; 3. die Konfliktursachen bzw. Inten-
tionen werden als religiöse artikuliert. (Fox 2012, 142–143)
Maximilian Lakitsch | Religion und Konflikt in den Internationalen Beziehungen
Wie groß muss die Rolle von Religion in einem Konflikt sein,
um von einem „religiösen Konflikt“ sprechen zu können?
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 1:1
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 1:1
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 236
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven