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101 | www.limina-graz.eu gegen den Widerstand von Musliminnen und Muslimen durchzusetzen.
Dieser Diskurs bildete sich unter dem Einfluss muslimischer Ideologen aus
dem Nahen Osten in Afghanistan im Kampf gegen die sowjetische Invasion
heraus, geriet nach 9/11 zu großer Prominenz und ist nicht zuletzt seit den
Erfolgen des IS 2014 von aktueller Relevanz. (Kepel 2008, 110–171)
Nun ist der salafistische Jihad nicht nur als Diskurs beschreibbar, sondern
auch als spirituelles Phänomen. Während in der Diskurs-Dimension kon-
struktivistische Dynamiken dominieren, ist die Dimension von Religion
als Spiritualität vorrangig von primordialistischer Bedeutung. Schließlich
ist Religion für das Subjekt immer auch als eigene Erfahrung gegeben
und lässt sich als solche nicht auf andere Phänomene reduzieren. R. Scott
Appleby nennt dieses Ansatz strong religion im Gegensatz zu weak reli-
gion. (Appleby 2015, 33–37) Dabei bezieht er sich auf Rudolf Otto und des-
sen Beschreibung des Heiligen als Kern jeder religiösen Erfahrung. Dieses
manifestiere sich als absolute Erfahrung. Diese Erfahrung des Heiligen als
„mysterium tremendum et fascinans“ stehe jenseits der Kategorien von
Gut und Böse. Es ist unendlich abstoßend und anziehend zugleich, vol-
ler Schauer und Zauber, wie Otto schreibt. So wird die Erfahrung des Hei-
ligen zum Selbst
zweck jenseits jeglicher säkularen Logik. Diese kann auf
unterschiedlichen Wegen der Orthopraxie und des Asketizismus erfahren
werden. (Otto 2014, 1–55)
So ist jeder Akt am Pfad des Jihad auch ein Akt der Hingabe an das Heilige
und somit ein spiritueller Akt. Diese folgen oftmals einer eigenen Logik
jenseits empirisch wahrnehmbarer Faktoren. Dementspre
chend unvor-
hersehbar ist ihre Rolle in Konflikten. Diesem Aspekt ist auch der überra-
schende Charakter religiöser Radikalisierungen in kürzester Zeit geschul-
det, mit dem oftmals – zur Überraschung des persönlichen Umfeldes –
gänzlich unerwartete Ausflüge in den Jihad zusammenhängen. Derartige
Prozesse folgen oft psychosozialen Logiken in Kombination mit nieder-
schwelliger diskursiver Beeinflussung durch das Internet und Neue Soziale
Medien.
In der spirituellen Dimension liegt der normative Aspekt im Existenziell-
Motivatorischen. Die klassische normative Dimension von institutionali-
sierten Religionen liegt dennoch in ihrem dogmatischen Charakter als
Samm lung von Lehren. Dieser bezieht sich auf Religion als ein ganz-
Maximilian Lakitsch | Religion und Konflikt in den Internationalen Beziehungen
Jeder Akt am Pfad des Jihad wird zugleich als Akt der Hingabe an das Heilige
und somit als spiritueller Akt verstanden.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 1:1
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 1:1
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 236
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven