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106 | www.limina-graz.eu dennoch zu tun, ergibt sich aber nicht zuletzt aufgrund der immer größer
werdenden Möglichkeiten für Individuen oder kleinere Gruppen, transna-
tionale Diskurse und Ereignisse mittels Internet oder Neuen Sozialen Me-
dien wie Facebook, Twitter oder Instagram zu beeinflussen.
So fehlt es am theoretischen Fundament, um etwa für den Nahen Osten
Fragen zu erörtern wie nach der Herkunft und Verortung anti-schiitischer
sozio-politischer Dynamiken in Syrien und im Irak: Sind diese im Syrien
der 1970er-Jahre zu verorten oder im Irak der 2003er-Jahre, oder eher
dem regionalen Machtstreben zwischen Iran und Saudi-Arabien zuzusch-
reiben? (Phillips 2015; Nasr 2007) Wo, wie und inwiefern überschneiden
sich jene Dynamiken? Warum und wie überschneiden sich diese Dynamik-
en mit dem Jihadismus? Was kann man daraus ableiten für die gegenwär-
tige Situation von Islamischem Fundamentalismus und Salafismus? Und
schließlich, Zusammenhänge zwischen Ereignissen an der Levante und in
Europa lassen sich nicht leugnen: Inwiefern lassen sich Vorgänge rund um
jihadistische Milizen im Nahen Osten mit religiösen Radikalisierungen und
eventuellen terroristischen Anschlägen verbinden?
Forscher wie Ron Hassner (2010) stellen zwar dieses Fehlen eines theo-
retischen kausalen Bindegliedes zwischen individueller, regionaler und
internationaler Ebene fest, schaffen aber keinen überzeugenden systema-
tischen Gegenentwurf. Hassners tick religion-Ansatz stellt zwar einen brei-
ten Ansatz vor, bleibt aber eine systematisch Erörterung zu ihrem kausalen
Erklärungspotential schuldig. Der theoretische Rahmen einer systemati-
schen Darstellung global zusammenhängender Dynamiken müsste inner-
halb einer Theorie der Internationalen Beziehungen angesiedelt werden.
In jenem Bereich gibt es nun aber wenig Anknüpfungspunkte. Schließlich
liegt der Fokus zumeist immer noch auf staatlichen Akteuren.10 Darüber
hinaus gehen vorhandene Darstellungen in jenem Bereich nur wenig auf
die Interdependenzen substaatlicher Dynamiken ein.
Eine Theorie der Internationalen Beziehungen müsste – zumindest um für
Probleme des Nahen Ostens und Nordafrika relevant zu sein – folgende
Punkte mit
reflektieren, um Dynamiken des Religiösen in ihrer Relevanz für
Konflikt und Frieden adäquat beschreiben zu können:
1. Die Rolle von Religion als Phänomen auf der subjektiven Ebene;
2. Religion als Identität (sunnitisch, schiitisch, alawitisch, christlich,
drusisch etc.);
3. Diskurse, welche Identitätsdynamiken oder ideologische Strömun-
gen transnational zusammenbinden;
Maximilian Lakitsch | Religion und Konflikt in den Internationalen Beziehungen
10 Siehe klassisch realistische Para-
digmen wie jenes von Hans Mor-
genthau (2006) oder Kenneth Waltz
(1967). Selbst die sozialkonstruk-
tivistische Theorie von Alexander
Wendt (1999) hat den Primat des
Staates nicht überwunden.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 1:1
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 1:1
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 236
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven