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110 | www.limina-graz.eu selbe Ebe ne stellt wie Staaten. So werden Gruppen, die sich entlang einer
Identität und daraus sich ergebenden Loyalität konstituieren, als polities
beschrieben. Diese konstituieren sich auf der Grundlage verschiedener
Identitäten wie etwa Familie, Stamm, Religionsgruppe, Beruf, Interessen,
ethnischer Identität oder auch Sportmannschaften. (Ferguson/Mansbach
2007) Relevant für eine Theorie von Religion in den Internationalen Bezie-
hungen wären diese aber nur, insofern diese Gruppen transnational agie-
ren und dabei von Relevanz sind für Dimensionen des Religiösen.
Dies kann sich etwa auf die Identitäten der Sunnitin oder der Schiitin
beziehen, die im regionalen Diskurs gründen, die sich zu Organisationen
zusammenschließen und im Zeichen des Strebens nach regionalem Einfluss
zwischen Iran und Saudi-Arabien von der entsprechenden Seite finanziert
und angetrieben werden. Die entsprechende Konfliktdynamik entspringt
dem Bedürfnis nach positiver Identität der Schiitin oder Sunnitin, die sich
dann je national oder lokal als Konflikt zwischen entsprechenden Gruppen
manifestiert oder auch von geringer Relevanz ist.
Der Diskurs des internationalen Jihad formt sich in den 1980er-Jahren und
verleiht dem Muslim-Sein ein wehrhaftes Selbstbewusstsein gegenüber
ausländischen Kräften. So führt die Dynamik zur positiven Identität von
Muslim-Sein durch Abwertung alles Nicht-Muslimischen. Frühestens ab
2003 und spätestens ab 2014 überschneiden sich der Jihad und der Sun-
niten-Schiiten-Diskurs im Zeichen des anti-schiitischen Jihad.
Die Identität des internationalen Jihadi war vor allem in den Hochzeiten
der IS-Miliz von 2015 bis 2018 eine sehr attraktive für viele marginalisierte
Musliminnen und Muslime, im Nahen Osten, Nordafrika, aber auch etwa
in Europa. So haftet dieser Identität nicht nur das Stigma der Unbesieg-
barkeit an, sondern auch jenes der Rechtschaffenheit. Das veranlasste viele
junge Menschen dazu, ihr bisheriges Leben hinter sich zu lassen und bin-
nen kürzester Zeit im Diskurs des internationalen salafistischen Jihadi voll
aufzugehen. Nicht zuletzt führte diese Dynamik zu einigen Terroranschlä-
gen in Europa und Nordafrika. (Vgl. dazu etwa Schmidinger 2015)
Eine Theorie von Religion in den Internationalen Beziehungen könnte
entlang der oben beschriebenen Eckpunkte entwickelt werden. Zumin-
dest kann sie einige kausale Fäden ziehen. Die fortschreitende Auflösung
von Zeit und Raum durch globale Kommunikationsmittel sowie durch
kostengünstige Reise mög
lichkeiten unterlaufen die globale Fragmentie-
rung in Staaten als primäre Akteure. Das verlangt nach einem transnatio-
nalen Rahmen, um Dynami ken von Konflikten zu beschreiben. Das gilt vor
allem für Konflikte mit religiösen Dimensionen.
Maximilian Lakitsch | Religion und Konflikt in den Internationalen Beziehungen
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 1:1
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 1:1
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 236
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven