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123 | www.limina-graz.eu des Standard, Peter Michael Lingens, dass schließlich der „‚Profil‘-Her-
ausgeber Hubertus Czernin praktizierender Katholik sei.“ (Kaspar 1995,
26) Und nicht nur das, wie der bemerkenswerte Kommentar dieses Jour-
nalisten vom 31. März 1995 zeigt:
„Mich verblüfft die Selbstüberschätzung, mit der eine Reihe von Bischöfen
den Angriff auf einen der ihren als einen Angriff auf ‚die Kirche‘ und ‚den
Glauben‘ auslegen. […] Ich bin, wie ich mehrfach geschrieben habe, kein
gläubiger Mensch. Aber selbst für mich bedeuten Christentum und Kirche
tausendmal mehr, als die Entgleisungen eines einzelnen Bischofs in
Frage stellen können.“ (Kaspar 1995, 26–27)
Es geht in dieser Sache des sexuellen Missbrauchs nicht um unverschämte
Attacken auf die Religionsgemeinschaft der katholischen Kirche aus einer
modernen säkularen Welt heraus, die nichts vom Glauben versteht. Es geht
um ihre Pastoralgemeinschaft, die für die Versprechungen des Glaubens da
ist, an denen sich weit mehr als ihre Religionsgemeinschaft entscheidet.
Die Pastoralgemeinschaft der Kirche ist nicht nur Katholiken, sondern auch
anderen Christ(inn)en und sogar vielen Nicht-Christ(inn)en ein großes
Anliegen, weil sie um ihre Bedeutung bangen, Menschenrechte um Gottes
willen zu stärken und zu verteidigen. Dort entscheiden sich im sexuellen
Missbrauch Heil oder Unheil, nicht in der Selbstidentifizierung der Kirche.
Das verstehen auch Menschen, die nicht getauft sind oder ihrer Taufe keine
besondere Bedeutung mehr geben.
Bei dem quälenden Schweigen, mit dem der von diesen Enthüllungen an-
gefochtene Kardinal Groër über seinen Rücktritt hinaus sich konsequent
bis zu seinem Tod jeder Auseinandersetzung verweigert hat, geht es daher
ebenfalls um weit mehr als die persönliche Unfähigkeit und die amtliche
Inkompetenz eines hochrangigen kirchlichen Würdenträgers, die damals
zu Tage getreten sind. Es geht um die verstockte Spiritualisierung einer
Selbstgerechtigkeit, die den Glauben unweigerlich dann heimsucht, wenn
seine Versprechungen nicht damit konfrontiert werden, welche Ver-spre-
chungen mit ihm über die Zukunft gemacht werden.
Groër mag an alle möglichen „Lustknaben und Knabenschänder“ gedacht
haben, als er gegen den Kommunionempfang von Wiederverheiratet-Ge-
schiedenen das Versprechen des Paulus zur Fastenzeit bemühte. Mit Paulus
im Rücken glaubte er Menschen in dieser Lebenssituation und ihren Un-
terstützern so selbstsicher seinen katholisch identifizierten Gott entge-
gensetzen zu können, dass er im Eifer des Gefechts sein eigenes Ver-spre-
Hans-Joachim Sander | Gebrochenes Ver(-)sprechen
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 1:1
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 1:1
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 236
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven