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127 | www.limina-graz.eu „Vor allem erbitte mir bei Gott einen festen und lebendigen Glauben.“
(Groër 1986)
Das entsprach der Identitätspolitik, mit der im Pontifikat von Johannes
Paul II die Ernennungen vor allem fĂĽr die wichtigen Bischofssitze eines
Landes vorgenommen wurden. Die Betonung der eigenen Identität ge-
gen eine zunehmende Verflachung der Unterschiede ist nicht spezifisch
katholisch, sondern Ausdruck einer religiösen Macht, die gerade in säku-
laren Verhältnissen besonders aufblüht. Gilles Kepel, ein französischer
Politologe, hat schon früh darauf hingewiesen, dass eine säkular betonte
Selbstermächtigung der eigenen religiösen Identität im Verlauf der späten
1970er Jahre fast zeitgleich den schiitischen Islam – in Gestalt von Kho-
meini –, das Judentum – in Gestalt der Siedlerbewegung in der West Bank,
die dem Likud in Israel eine strukturelle Mehrheit einbrachte –, den Pro-
testantismus – in Gestalt evangelikaler Fernsehprediger in den USA – und
eben den Katholizismus mit der Erhebung von Karol Wojtyla zum Papst er-
fasste (Kepel 1991). Die jeweiligen Identitätspolitiken haben sich als eine
Art Avantgarde zu dem erwiesen, was sich in den letzten beiden Jahrzehn-
ten in den groĂźen Demokratien vollzieht.
Johannes Paul II folgte einer Perspektive, die seine erste Predigt als Papst
mit „Habt keine Angst!“ umschrieb. Katholik(inn)en sollten keine Angst
haben, öffentlich mit ihren spezifischen Glaubensvorstellungen anderen
gegenüberzutreten und ihre Wahrheit säkularen Relativierungen entge-
genzuhalten. Das fĂĽhrt bei ihm nach auĂźen hin zu Pastoralreisen in fast alle
Gegenden des Planeten, zur konsequenten Konfrontation mit dem Kom-
munismus, zum Friedensdialog mit anderen Religionen, zum Einklagen
von Menschenrechten, zum Widerstand gegen Krieg, zum weltweiten Ein-
satz für die Jugend. Nach innen hin führte die Politik der Identitätsstärkung
zu seiner Betonung traditioneller katholischer Familien- und Sexualmoral
und weltweit zur Ernennung von Bischöfen, die sich besonders betont vom
Papst und diesen katholischen Werten her verstanden und die deshalb
entschieden dazu bereit waren, auf innerkirchlichen Konfrontationskurs
zu liberalen Glaubens- und Kirchenanschauungen zu gehen. Besonders
zentrale und wichtige Bischofssitze – aber nicht nur sie – wurden mit Män-
nern dieses Habitus besetzt, wie eben Groër in Wien, aber auch Meisner in
Hans-Joachim Sander | Gebrochenes Ver(-)sprechen
Die Betonung der eigenen Identität gegen eine zunehmende Verflachung
der Unterschiede ist nicht spezifisch katholisch, sondern Ausdruck einer
religiösen Macht, die gerade in säkularen Verhältnissen besonders aufblüht.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 1:1
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 1:1
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 236
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven