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129 | www.limina-graz.eu zen Nation durgeführt wurde. Seine Ergebnisse wurden am 5. Juli in Wien
präsentiert (Czernin 1998, 101, 105–106 und 108–109). Das eine war eine
Aktion von oben aus der Spitze der kirchlichen Hierarchie, das andere von
unten aus dem Kirchenvolk heraus.
Beide Aktionen vollziehen sich im Bann von Scham, aber sprechen sie nicht
an; denn Scham wird verschwiegen. Das Kirchenvolksbegehren spricht von
„Krise“ und „verlorenem Vertrauen“ (Czernin 1998, 105 und 107). Auch in
dem Brief von Papst Johannes Paul II vom 8. September 1995 (Der Apos-
tolische Stuhl 1995, 1060–1062), der kurz vor dem Amtsverzicht Groërs
und dem Amtsantritt des Koadjutors Schönborn an die Bischöfe Österreichs
ging, wird nicht auf Scham verwiesen. Der Brief spricht stattdessen von
„heftige[n] Angriffe[n] gegen einige von Euch“, einer „harten Prüfung“,
der „Stra tegie, die Hirten zu schlagen“, dem „Versuch der Zerstörung“,
„Unfrieden von Verdächtigungen, Kritiksucht und Zwietracht“. Über Kar-
dinal Groër heißt es, er gäbe die Leitung der Erzdiözese nach Erreichen der
Altersgrenze ab, und ihm gelte der päpstliche „Ausdruck meines Dankes
für seinen treuen und hochherzigen kirchlichen Dienst“ (ebd. 1062). Der
Papst wählt als biblisches Leitmotiv seines Briefes: „Ich werde den Hirten
erschlagen, dann werden sich die Schafe der Herde zerstreuen“ (Mt 26,31).
Selbst in der Bischöflichen Erklärung drei Jahre später ist von Scham nicht
die Rede, mit der am 27. Februar 1998 Kardinal Schönborn von Wien, Erz-
bischof Eder von Salzburg, Bischof Weber von Graz und Bischof Kapellari
von Klagenfurt äußerten, sie seien „nun zu der moralischen Gewißheit
gelangt, daß die gegen Alterzbischof Kardinal Hans Hermann Groër erho-
benen Vorwürfe im wesentlichen zutreffen“ (Czernin 1998, 188). Dort wird
durchaus von „traurig[en] und zornig[en]“ Christen, der „Einzigartigkeit
dieser Situation“, „de[m] lähmenden Generalverdacht“, „zweideuti ge[m]
Verhalten“, „mitbetroffen[en]“ Diözesen, „Leiden in unserer Kirche“
gesprochen (Czernin 1998, 188–190). Aber die vier Bischöfe können sich
nicht dazu durchringen, peinlich berührt zu sein von dem, was sicht bar ge-
worden ist.
Beide miteinander streitenden Seiten versprachen sich von ihrem Vorgehen
einen Ausweg aus der geduckten Lage der Kirche. Das Kirchenvolksbegeh-
ren wollte eine andere und deshalb dezidiert erneuerte Form von Kirche;
der Papst sowie insbesondere diejenigen in der kirchlichen Hierarchie, die
Hans-Joachim Sander | Gebrochenes Ver(-)sprechen
Die einen trauten der Erneuerung zu, die Versprechungen des Glaubens
erfahr
bar zu machen; die anderen trauten der Erneuerung nicht über den Weg.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 1:1
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 1:1
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 236
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven