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Hans-Joachim Sander | Gebrochenes Ver(-)sprechen
in der österreichischen Kirche – aber auch darüber hinaus – ein entschie-
dener Widerstand gegen sexuellen Missbrauch nachhaltig sein will. Dafür
hat die Leitung dieser Kirche eine besondere Verantwortung.
Dazu gehört allerdings zugleich ein prekärer Teil, der über diesen einzel-
nen Fall weit hinausgeht. Denn der beschriebene feine Unterschied weckt
zugleich hochgradig Zweifel daran, ob eine entschiedene Identitätspolitik
im Glauben richtig ist und weiter führt. Johannes Paul II stand für sie ein. Es
war sein Credo, dass niemand in der Kirche sich des eigenen katholischen
Glaubens schämen muss und dafür beschämt werden darf. So weit, so gut.
Aber das ist einfach unvollständig, weil es die entscheidenden Fragen nicht
stellt. Darum hat dieses Muster sich auch als nicht komplex genug erwie-
sen, wie sich nach dem Skandal um Kardinal Groër in der sprunghaft an-
schwellenden Aufdeckung von Fällen sexuellen Missbrauchs gezeigt hat.
Dieser sichtbare Anstieg der Missbrauchsfälle ist natürlich nicht von die-
sem Papst verursacht worden; das zu behaupten, wäre absurd. Aber zugleich
sind sie die maßgebliche Signatur seines Pontifikats, weil sie die entschei-
denden Anfragen an die katholische Identitätspolitik stellen, derer sich
nicht schämen zu dürfen dieses Pontifikat in die Kirche gebracht hat.
Selbst die Vergebungsbitten dieses Papstes zum Jahr 2000 werden da-
von betroffen. Sie sind in der traditionellen Schuldkultur der katholi-
schen Kirche ein herausragendes Ereignis, das großen Respekt verdient
(vgl. Johannes Paul II 2000, 120–128). Aber selbst sie waren nicht in der
Lage, die Schamkultur des sexuellen Missbrauchs in der Kirche aufzubre-
chen, welche die Macht der Täter über die Ohnmacht der Opfer stellt. In
der siebten Bitte über die „Sünden auf dem Gebiet der Grundrechte der
Person“ wurde durch aus gebetet „für die minderjährigen Opfer des Miss-
brauchs“ (Johannes Paul II 2000, 127), doch weder für ihre Scham noch für
die Schuld speziell der kirchlichen Täter wurde Vergebung für die Kirche
erbeten. Es gibt keinen Sanktionsmechanismus für die sich heilig gerie-
rende Unverschämtheit der kirchlichen Täter. Auch dieser große Anklage-
und Vergebungsritus für die kirchlichen Sünden findet keine Muster, um
sich positiv zur Scham der Opfer und ablehnend zur Unverschämtheit der
Täter zu äußern, auch wenn sie darauf abzielen. Daher konnten auch dabei
die Täter ihres privilegierten Ortes in der Kirche sicher sein, obwohl der
Selbst die Vergebungsbitten des Papstes waren nicht in der Lage,
die Schamkultur des sexuellen Missbrauchs in der Kirche aufzubre
chen,
welche die Macht der Täter über die Ohnmacht der Opfer stellt.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 1:1
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 1:1
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 236
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven