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144 | www.limina-graz.eu In all dem wird offensichtlich, wie tief der Religionsunterricht in Macht-
zusammenhänge verwickelt ist. Doch wie lässt sich dies genauer verste-
hen? Welcher Machtbegriff ist hilfreich? Im Folgenden wird die These
vertreten, dass die Religionspädagogik hierzu in ein kritisch-konstruk-
tives Selbstverhältnis einzutreten hat, um die eigenen hegemonialen Ten-
denzen analysieren und kritisch bearbeiten zu können. Um diese These
zu begründen und zu erläutern sollen zunächst der Machtbegriff anhand
der Diskurstheorie Foucaults näher analysiert (1) und dann hegemoniale
machtbezogene Tendenzen am Beispiel Interreligiösen Lernens illustriert
werden (2), um schließlich mit der Kategorie Aufgeklärter Heterogenität
eine weiterführende Perspektive zu eröffnen (3).
1. Bildung als Pastoralmacht
Angesichts tiefgreifender Veränderungen in kulturellen, ökonomischen
und gesellschaftlichen Selbstverständigungsprozessen rückt vermehrt
Bildung in den Fokus. Für manche als „säkularisierte Religion“ verstan-
den (Liessmann 2017, 36), verweisen andere darauf, dass pädagogische
Prozesse insgesamt „alles andere als einen machtfreien Raum“ darstellen
(Bröckling 2017, 241). Auch für Michel Foucault stellt sich die Frage, warum
trotz der emphatischen Versprechungen von Autonomie, Subjektivierung
und Mündigkeit durch Bildung gerade diese nicht eingelöst werden. Dis-
kurstheoretisch wirft er einen entlarvenden Bick auf die Erziehungs- und
Bildungssysteme:
„Die Erziehung mag de jure ein Instrument sein, das in einer Gesellschaft
wie der unsrigen jedem Individuum den Zugang zu jeder Art von Diskurs
ermöglicht – man weiß jedoch, daß sie in ihrer Verteilung, in dem, was
sie erlaubt, und in dem, was sie verhindert, den Linien folgt, die von den
gesellschaftlichen Unterschieden, Gegensätzen und Kämpfen gezogen
sind. Jedes Erziehungssystem ist eine politische Methode, die Aneignung
der Diskurse mitsamt ihrem Wissen und ihrer Macht aufrecht
zuerhalten
oder zu verändern“ (Foucault, 2003, 29–30).
Diskurstheoretisch besteht demnach ein intrinsischer Zusammenhang
von Macht und Erziehung der Subjekte, handelt es sich doch dabei „um die
großen Prozeduren der Unterwerfung des Diskurses“. Was für das Gerichts-
system, das Justizsystem, die Psychiatrie, ja selbst für den schriftstel-
Bernhard Grümme | Religionsunterricht zwischen Macht und Bildung
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 1:1
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 1:1
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 236
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven