Seite - 145 - in Limina - Grazer theologische Perspektiven, Band 1:1
Bild der Seite - 145 -
Text der Seite - 145 -
145 | www.limina-graz.eu lerischen Akt des Schrei bens gilt, den man gemeinhin für frei und kreativ
hält, gilt nicht zuletzt für Schule und Universität:
„Was ist denn eigentlich ein Unterrichtssystem – wenn nicht eine Rituali-
sierung des Wortes, eine Qualifizierung und Fixierung der Rollen für die
sprechenden Subjekte, die Bildung einer zumindest diffusen doktrinären
Gruppe, eine Verteilung und Aneignung des Diskurses mit seiner Macht
und seinem Wissen“ (Foucault 2003, 30; vgl. Bröckling 2017, 15–73).
Zwei Beispiele aus dem Schulunterricht können dies verdeutlichen:
1. Inklusive Klasse, Verteilung von Aufgaben. Um hier schülerorien-
tiert vorzugehen, verteilen die Lehrkräfte zielgleiche, aber stark
methoden- und niveaudifferente Aufgaben und Materialien. Als
Voraussetzung hierfür müssen allerdings die Kinder erst einmal in
ihrem Kognitionsniveau und ihrer Lernmotivation identifiziert und
dann explizit, mindestens aber im Verteilen der differenzierten Ma-
terialien performativ benannt werden.
2. In vielen Schulbüchern, auch Religionsbüchern, finden sich ge-
schlechtsbezogene Aufgaben. Sensibel für die Mechanismen ge-
schlechtsbezogener Konstruktionen eines doing gender, wollen sie
den einzelnen Kindern in ihrem Geschlecht gerecht werden. Lern-
hilfen werden geschlechtsbezogen differenziert, wenn etwa für
Mädchen Textaufgaben auf rosa Papier und Diktatübungen auf
blauem mit Piratenlogo für Jungen angeboten werden. Und die ehe-
malige NRW-Schulministerin Löhrmann, ausgerichtet am Ziel des
„In Vielfalt gemeinsam lernen“, hat sich in einem Interview so ver-
nehmen lassen:
„Mädchen brauchen eher einen Anwendungsbezug, während
viele Jungen Technik an sich fasziniert. In Chemie etwa wollten
Mädchen vor allem wissen: Wofür brauche ich das? Wenn sie
dann wissen, dass das zum Beispiel für Kosmetik interessant ist,
haben sie einen eigenen Zugang“ (Rendtorff 2014, 116; vgl.
Grümme 2017, 53–60).
Diese unterschiedlichen Beispiele markieren mit unterschiedlicher Inten-
sität den Versuch, die Heterogenität des Unterrichts in Bezug auf kognitive
Leistungsfähigkeit und Geschlecht zu würdigen und den einzelnen Schüle-
rinnen und Schülern gerecht zu werden. Gleichwohl bleiben sie nicht un-
Bernhard Grümme | Religionsunterricht zwischen Macht und Bildung
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 1:1
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 1:1
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 236
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven