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149 | www.limina-graz.eu 2. Interreligiöses Lernen als hegemoniales Sprechen?
Solche Beobachtungen, so abstrakt sie wirken, haben erhebliche Praxisrele-
vanz für den Religionsunterricht. Eklatant deutlich wird dies in einem Be-
reich, der in Globalisierungs- und Migrationszusammenhängen eminente
Bedeutung erlangt hat: im Interreligiösen Lernen. Dies gilt es in kurzen
Strichen zu zeigen.
Interreligiöses Lernen setzt in allen maßgeblichen Konzeptionen implizit
voraus (vgl. Schambeck 2013; Leimgruber 2007; Schweitzer 2014; Langen-
horst 2016), dass darin nicht einfach religiöse Individuen einander begeg-
nen, sondern Individuen als Mitglieder von Religionen. Dies unterstellt
eine religiöse Homogenität und das, was man Repräsentationslogik nen-
nen könnte. Christen begegnen Muslimen und lernen Verständnis, Dialog,
Anerkennung durch erfahrungsgesättigten und wissensbasierten Perspek-
tivenwechsel. Damit wird eine Repräsentanz vorausgesetzt, die nach allen
religionssoziologischen Studien nicht gegeben ist. Christliche SchülerIn-
nen sollen in diesem Begegnungslernen den christlichen Glauben, jüdische
SchülerInnen den jüdischen, muslimische den muslimischen Glauben
einspielen. Doch zeigen die Studien eindeutig, dass für die meisten Kinder
im Religionsunterricht nur eine sehr gebrochene Identifikation mit dem
christlichen Glauben gegeben ist, der ja seinerseits in sich selber bereits
höchst plural ist. Für die allermeisten Jugendlichen ist die christliche Re-
ligion mit ihrer Semantik zur Fremdreligion geworden, die sie vor allem
in der Außenperspektive erleben (vgl. Porzelt 1999). Gelebter Glaube und
tradierter Glaube, Alltagsreligiosität und tradierte Religiosität divergieren
zunehmend. Innenperspektive und Außenperspektive sind schwer ausein-
anderzuhalten und damit auch die strengen Unterscheidungen zwischen
religionskundlichem und konfessionell geprägtem Interreligiösen Lernen,
zwischen intra- und interreligiösem Lernen konsistent durchzuhalten
(Gärtner 2015, 217–218; vgl. Willems 2011, 216–218).
Zeigt sich so die Repräsentationslogik des Interreligioösen Lernens blind
für die intrareligiösen Pluralitäten, so werden daneben weitere Leerstellen
erkennbar. Diese liegen vor allem in zwei Aspekten:
Bernhard Grümme | Religionsunterricht zwischen Macht und Bildung
Kann Interreligiöses Lernen bei allen Teilnehmenden eine ähnliche Kultur
von Argumentationen, von Rationalität und Diskurs voraussetzen?
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 1:1
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 1:1
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 236
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven