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150 | www.limina-graz.eu ̟ Kann Interreligiöses Lernen bei allen Teilnehmenden eine ähn-
liche Kultur von Argumentation, von Rationalität und Diskurs
voraussetzen? Treten etwa christliche, in einem katholischen oder
evangelischen Religionsunterricht sozialisierte Schüler/innen mit
muslimischen Schüler/innen in Dialog, treffen doch auch diver-
gente Praktiken im Umgang mit religiöser Tradition und heiligen
Schriften aufeinander: hier eine eher durch Aufklärung geprägte,
dort eine vorrangig am Schrifttext ausgerichtete Lernkultur. Be-
gegnungslernen insinuiert hier eine Symmetrie der diskursiven
und handlungstheoretischen Voraussetzungen, die nach bildungs-
soziologischen Forschungen nicht schlechthin vorhanden ist
(Gärtner 2015, 216–217).
̟ Soziale Heterogenität: Für Interreligiöses Lernen müssten die
Sensibilität und die kategoriale Berücksichtigung der sozioöko-
nomischen Bedingungen elementar sein. Nicht nur, dass ohnehin
im konfessionellen Religionsunterricht ein massives Gerechtig-
keitsproblem besteht, weil die distinkten familiären und sozialen
Bedingungen als Faktoren von Benachteiligung relevant sind (vgl.
Grümme 2014). Dies fällt für Interreligiöse Lernprozesse besonders
ins Gewicht, insofern hier etwa häufig muslimische Kinder aus
sozial schwachen Migrantenfamilien mit katholischen Kindern
aus teilweise immer noch christlich sozialisierten bürgerlichen
Haushalten lernen. Wenn christliche SchülerInnen „in einer nicht
zuletzt durch die Aufklärung geschulten Tradition der Glaubens-
reflexion“ gemeinsam mit muslimischen SchülerInnen aus Tra-
ditionen heraus lernen, die in Teilen „eine so geprägte Reflexion
ihres Glaubens ablehnen“, wird bereits die suggerierte Symmetrie
zwischen den TeilnehmerInnen des Interreligiösen Lernens kon-
terkariert und wird deutlich, in welch hohem Maße „solche Begeg-
nungen auch Machtstrukturen“ unterliegen (Gärtner 2015, 216).
Gleichwohl wird die Sache durch die Interdependenz der einzelnen
Faktoren noch diffiziler, heterogener. Die Bildungssoziologie hat
die Kurzschlüssigkeit zwischen Migrantenstatus, Benachteiligung
und fehlendem schulischem Engagement nachgewiesen. Zwar ist
eine Korrelation zwischen Schulform und Migration unbestreitbar:
je höher der Abschluss, desto geringer der Grad an Schülerinnen
und Schülern mit Migrationshintergrund. Während aber Kinder
aus etwa türkischen oder arabischen Migrationskontexten eher
schwächere Leistungen und Motivationen zeigen, verhält es sich
Bernhard Grümme | Religionsunterricht zwischen Macht und Bildung
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 1:1
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 1:1
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 236
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven