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197–195).
Solche Festschreibungen und subtilen Suppositionen finden sich zudem
in den Erwartungen, die mit der Repräsentationslogik verbunden sind.
Sie manifestiert sich bereits dort, wo etwa islamische Kinder muslimische
Gebetspraxis im Religionsunterricht einspielen sollen. Um interreligiöses
Begegnungslernen zu initiieren, bittet man etwa einen türkischen Schü-
ler in den katholischen Religionsunterricht zur Darstellung muslimischer
Gebetsriten. Diese nach schulpädagogischen Forschungen weit verbrei-
tete Didaktik setzt die Zuschreibung von religiösen Praktiken voraus („Als
Muslim glaubst Du doch...“) (Schweitzer 2013, 276; Grümme 2017, 53–54).
Ein Schüler wird aus der Gruppe der Mitschüler religiös identifiziert und
aus der Gruppe der peers herausgenommen. In aller Deutlichkeit markiert
dies jene Dialektik des Heterogenitätsdiskurses, der im Willen zur Parti-
zipation, zur Anerkennung und Individualisierung zu Zuschreibungen,
zu essentialisierenden Festschreibungen, zu Reifizierungen und damit zu
„stereotypen Festlegungen“ neigt (Schweitzer 2013, 276). Intentional auf
die Würdigung von Differenz angelegt, wird diese zugleich produziert (vgl.
Rieger-Ladisch 2017, 27–42).
Diese Logik, aus der heraus Anerkennungsprozesse sich als „verkennende
Anerkennung“ artikulieren (vgl. Bedorf 2010), ist im Interreligiösen Ler-
nen zu erkennen. Zwei Phänomene sollen illustrierend herausgegriffen
werden:
Auf ebenso bedrückende wie fast karikierende Weise wird dies auf der Ebene
der Materialien und Schulbücher exemplarisch manifest, insofern etwa das
Judentum in Schulbüchern als frommes orthodoxes Judentum präsentiert
wird, das sich in einem Kippa tragenden und die Gebetsriemen anlegen-
den jüdischen Jungen verkörpert (vgl. Meyer 2007). Was schulbuchpäda-
gogisch altersgemäßes Einfühlen in die peers, was Perspektivenwechsel
anzielt, ist doch auf mehreren Ebenen hoch problematisch: auf der Makro-
Ebene wird das Judentum als eine Religion gesehen, die sich den Prozessen
der Pluralisierung, Individualisierung und Säkularisierung auf eine ganz
opake Weise habe entziehen können. Auf der Meso-Ebene des Judentums
selber wird dieses als kohärentes Gebilde gezeigt, ohne die inneren Dif-
ferenzierungen des Judentums auch nur zu erwähnen. Auf der Mikroebene
Bernhard Grümme | Religionsunterricht zwischen Macht und Bildung
Der Heterogenitätsdiskurs will Partizipation, Anerkennung und Individualisierung
und neigt zugleich zu Essenzialismus, Reifizierung und stereotypen Festlegungen.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 1:1
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 1:1
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 236
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven