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153 | www.limina-graz.eu schließlich wird suggeriert, ein Jude sei ein frommer, orthodoxer Jude, was
an den sich beschleunigenden Prozessen der inneren Pluralisierung des Ju-
dentums weltweit wie in Deutschland vorbeigeht. In nuce wird an diesem
Beispiel die Logik der verkennenden Anerkennung eklatant sichtbar. Sie
will Anerkennung motivieren, läuft aber auf Folklorisierung und Stereo-
typisierung hinaus (vgl. Gärtner 2015, 214–220).
Daneben zeigt sich diese Logik in der Begegnungsdidaktik selber. Bemüht
um Authentizität der fremden Religion im Religionsunterricht, weil eine
rein kognitive, wissensbasierte Annäherung bereits lernpsychologisch
verengt sei und auch den komplexen Dimensionen der Religionen nicht im
Ansatz entspreche, greift sie auf die Repräsentationslogik zurück, wenn
sie die „authentische Begegnung, in der jede Religion das ihr Eigene sa-
gen und behaupten kann“, als prominenten Ort Interreligiöser Bildung
profiliert (Rickers 1998, 126; vgl. Tautz 2007, 160). Wird hierbei aber nicht
die Differenz zwischen Alltagsreligiosität, individueller Religiosität und
Religion unterschlagen? Wird hier nicht, wie man mit Bernhard Dressler
sagen könnte, die immanente Logik der didaktischen Struktur religionsun-
terrichtlicher Praxis negiert und suggestiv ein „Mythos der Authentizi
tät“
kultiviert (Dressler 2003, 121)? Wie sollen fremdreligiöse Schüler ihre Re-
ligion repräsentieren können? Was kann hier eingebracht werden, nach
welchen Kriterien werden sie aus dem Kreis ihrer Mitschülerinnen und
Mitschüler ausgewählt?
Diese analytischen Perspektiven auf den Diskurs Interreligiösen Lernens
machen in einer eindrücklichen Weise deutlich:
̟ Die hermeneutische Kategorie der Pluralisierung, die bislang das
Interreligiöse Lernen dominiert, greift zu kurz. Bisher wurden vor
allem religiöse und kulturelle Differenzen hermeneutisch zugrunde
gelegt. Ungleichheiten und Wechselwirkungen zwischen Gleich-
heitsfragen und Anerkennungsfragen, Interdependenzen zwi schen
Unterschieden und Ungleichheiten blieben zumeist außer Betracht.
Pluralisierung als singulären hermeneutisch-analytischen Refe-
renzpunkt zu verwenden, versetzt die Religionspädagogik auf die-
sem Feld in eine kulturalistische Drift, die sie zwar Unterschiede,
aber nicht Ungleichheiten wahrnehmen und reflexiv bearbeiten
lässt, und durch die sie deshalb ihre eigenen Postulate der Subjekt-
orientierung im umfassenden Sinn zu unterlaufen droht.
̟ Zugleich wird die Schwäche des Differenztheorems deutlich, das
in der Interreligiösen Didaktik als Grundlage der angemessenen
Bernhard Grümme | Religionsunterricht zwischen Macht und Bildung
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 1:1
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 1:1
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 236
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven