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187 | www.limina-graz.eu Auch um den Koran haben sich Corpuslinguisten bemüht, weil er als Refe-
renz für das Hocharabische gilt. An der Universität Leeds ist so mit der Ar-
beit des Teams um Eric Atwel ein linguistisch annotiertes Corpus des Korans
entstanden (Dukes 2009–2017, Atwell et al. 2010; Sharaf et al. 2010; Atwell
et al. 2011). Diese Textaufbereitung beruht auf der Kairiner Ausgabe als der
kanonischen Form des Korans. Das Corpus ist insofern bemerkenswert,
weil es Kernkonzepte des Korans in eine formale Repräsentation bringt, in
eine sogenannte „Ontologie“ (Dukes 2009–2017 Ontology). Die Ontologie
baut auf der islamischen Koranwissenschaft der hadīth und tafsīr auf und
verbindet sie mit dem Korantext. Eine solche formale Ontologie kennt z. B.
Konzepthierarchien, die sachlich verwandte Textstellen auch jenseits ihres
Wortlautes zusammenbringt. Es entsteht also nicht nur ein sprachwissen-
schaftliches Werkzeug, sondern auch computergestützter sachlicher Kom-
mentar.
In seinem Überblick über Internetressourcen zu den Texten der islami-
schen Korankommentierung (tafsīr) stellte Andrew Rippin im Jahr 2000
fest: „In no case are these e-texts new scholarly editions.“ (Rippin 2000,
5). Immerhin sind seither Onlineressourcen entstanden, welche die 1924
erschiene Kairiner Ausgabe des Korans digital zugänglich machen. Eine
besonders umfangreiche ist altafsir.com, die zum Text auch ergänzende In-
formationen wie Rezitationen in mehreren Varianten, Kommentare oder
Übersetzungen anbietet. Viele dieser ergänzenden Informationen sind als
Datenbanken organisiert, die über die entsprechenden Textstellen im Ko-
ran angesteuert werden können, und können so als inhaltlicher Kommen-
tar zum Text gelten. Das Angebot gibt sich als digitale Version der derzeit
gültigen Textform (schriftlich wie im Vortrag) und ihrer Kommentierung.
Für eine wissenschaftliche Edition fehlt ihr eine Reflexion über die Über-
lieferung.
Interessanterweise waren die überbordenden Versuche, elektronische Fas-
sungen des Korans online zu stellen, Ausgangspunkt für Bemühungen
um seine korrekte digitale Repräsentation (Rippin 2013). Die digitale Welt
erzeugte also ein textkritisches Bedürfnis, das in Projekten wie dem er-
wähnten altafsir.com oder dem von König-Fahd-Komplex geförderten tan-
zil.net realisiert wurden (Tanzil Project 2007–2018). Bei der Erstellung des
Textes in tanzil.net wurden auch digitale Methoden angewendet: OCR-Ver-
Georg Vogeler | Religion aus Daten?
Jüdische, christliche und muslimische Editionen gehen jeweils mit
unterschiedlicher Schwerpunktsetzung an digitale Editionen heran.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 1:1
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 1:1
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 236
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven