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218 | www.limina-graz.eu Der Traum von der Optimierung des Menschen
Utopien oder Dystopien? – So bringt John Parrington das Dilemma um
Anwendungsszenarien der Genom-Editierung, die der Verbesserung und
Optimierung des Menschen dienen, auf den Punkt (Parrington 2016, 230–
231). Neben kategorischen Gegnern wie Giovanni Maio gibt es dezidierte
Befürworter wie z. B. Julian Savulescu, die aus einer utilitaristischen Per-
spektive solche Eingriffe für verpflichtend halten, sobald sie ohne Risiko
verfügbar sind (Ranisch/Savulescu 2009). Auffallend ist, dass man sich von
Seiten der Wissenschaft in dieser Frage auf die derzeit unüberschaubaren
Risiken zurückzieht, im Übrigen aber darauf hinweist, dass über die Zuläs-
sigkeit einer solchen Anwendung die Gesellschaft als Ganze entscheiden
müsse.
Denkt man hier weiter, so stößt man bei der gentechnischen Optimierung
des Menschen jenseits der Probleme der technischen Machbarkeit und
der aktuell nicht vertretbaren Risiken auf grundsätzliche philosophisch-
ethische Probleme. Es lässt sich nicht bestreiten, dass jeder verbessernde
Eingriff ein Urteil darüber enthält, was für Menschen wünschenswert ist,
was wiederum eine Vorstellung von einem anzustrebenden guten Leben
voraussetzt. Darüber gibt es jedoch, so ein gegenwärtiger Konsens, in mo-
dernen pluralen Gesellschaften keine Übereinstimmung. Die Entscheidung
darüber, welche Ziele jemand in seinem Leben anstrebt, sind vielmehr not-
wendig subjektiv, jeder und jede muss sie für sich selbst treffen, hat das
Recht, sie zu verfolgen, darf sie jedoch anderen nicht aufoktroyieren (The
National Academies 2017, 9; Brantl 2017). Genau dies aber würde bei ver-
bessernden Eingriffen in die Keimbahn geschehen. Im Vergleich zu den
Einflussnahmen, die jeder elterlichen Erziehung zugrunde liegen, dienen
genetische Modifikationen nicht der Entfaltung eines Potentials, sondern
verändern die Ausgangsbedingungen von Leben, können nicht mehr
zurückgenommen werden und pflanzen sich über Generationen weiter fort.
Es mag Szenarien einer gentechnischen Optimierung geben, die sich auf
einer sehr niedrigen und rein funktionalen somatischen Ebene bewegen
und die harmlos klingen, wie z. B. eine gentechnische Erhöhung der Mus-
kelkraft oder der Widerstandsfähigkeit gegen Krankheiten und Klimaein-
flüsse,5 andere sind es jedoch keineswegs. Zudem tun sich hier neue For-
men totalitären Verfügens auf. Man stelle sich vor, eine gesellschaftliche
Walter Schaupp | Genom-Editierung als Schlüsseltechnik der Zukunft
5 Weitere Beispiele vgl. The Nation-
al Academies 2017, 9. Sven Meyer
spricht in ähnlicher Weise von einer
ethisch möglichen Basis-Eugenik, die
zwar „das Potential zur Entwicklung
einer individuellen Autonomie“
optimiert, darüber hinausgehende
Optimierungen aber ausschließt
(Meyer 2016, 237 u. 241).
Genom-Editierung – Utopie oder Dystopie?
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 1:1
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 1:1
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 236
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven