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219 | www.limina-graz.eu Gruppe versuche, Menschen gentechnisch für spirituelle Erfahrungen zu
disponieren, weil sie der Meinung ist, Menschen wären zu wenig spiri-
tuell, oder andere würden umgekehrt an eine gentechnische Abschaltung
entsprechender disponierender Faktoren denken, weil sie die spirituell-
religiöse Dimension für ein nutzloses evolutives Überbleibsel halten. Oder
dürften wir es, um ein anderes Beispiel zu nennen, in Angriff nehmen,
Menschen gentechnisch zu mehr Friedfertigkeit oder aber zu mehr Kamp-
fesgeist zu disponieren?
Dem Einwand, in einer freiheitlichen Gesellschaft würden sich solche Op-
timierungsbestrebungen ausgleichen und es würde hier nie zu totalitären
Formen des Verfügens kommen, kann zweierlei entgegengehalten werden.
Erstens sind auch liberale Gesellschaften anfällig für das Auftreten norma-
tiver Leitbilder, sozialer Zwänge und damit für indirekte Druckausübung
in Richtung bestimmter Optimierungsbestrebungen. Dann würden zeit-
bedingte Wunschvorstellungen von Menschsein genetisch festgeschrieben
werden. Oder der derzeitige Druck zu immer mehr Effizienz im Berufs-
leben würde dazu führen, dass Eltern ihre Kinder nun auch genetisch für
den Lebenskampf optimal ausrüsten. Zweitens sind Keimbahneingriffe wie
erwähnt nie ohne ein Verfügen über eine Vielzahl an nachfolgenden Men-
schen möglich, die dem nicht frei zustimmen können, was in einem klaren
Widerspruch zum liberalen Ideal autonomer Selbstbestimmung steht.
Die Analytik der Biomacht
Gewöhnlich fühlen sich Biotechnolog/inn/en und Mediziner/innen in
einer Art Arbeits teilung für die Bereitstellung neuer Techniken zustän-
dig sowie für die kompetente Beurteilung von damit verbundenen Nutzen
und Risiken: Was kann eine neue Technik, welchen Nutzen verspricht sie,
welche Nebenfolgen hat sie, und wie sicher ist sie für jene, die sie anwen-
den? – Die Beurteilung von komplexeren ethischen Fragen, wie z. B. die
ethische Beurteilung von Leih
mutterschaft, wird anderen überlassen. Poli-
tik und Gesetzgeber wiederum übernehmen Verantwortung für den bio-
medizinischen Fortschritt, indem sie sich auf die Aufdeckung und Vermei-
dung von Risiken, die mit einer Technik verbunden sind, konzentrieren,
ebenso auf die Sicherstellung maximaler Transparenz und Aufklärung,
um mündige Entscheidungen der Individuen zu ermöglichen, sowie auf
den Schutz von Interessen Dritter.6 Da liberale Staaten den Umgang mit
neuen Techniken jenseits dieses normativen Kernbereichs dem mündigen
Walter Schaupp | Genom-Editierung als Schlüsseltechnik der Zukunft
6 Bei der Reproduktionsmedizin
betrifft dies z. B. die Rechte des
zukünftigen Kindes oder die Inter-
essen von Leihmüttern. Ausführlich
zu dieser Logik im Hinblick auf Re-
produktionsmedizin Schaupp 2015.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 1:1
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 1:1
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 236
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven