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224 | www.limina-graz.eu Zusammenfassend und abgekürzt ergibt sich aus all dem für die hier ver-
folgten Überlegungen: Bei jedem Nachdenken über Mächte welcher Art
auch immer, die den Menschen bestimmen und formen, muss immer mit-
bedacht werden, ob, wie und auf welchem Boden das Subjekt sich ihnen
gegenüber kritisch verhalten kann und wie dann die notwendige Unter-
scheidung in „gute“ und „schlechte“ Mächte gelingt. Richtig bleibt, dass
wir wohl nie ein vollkommenes Wissen über die unsere Urteile und Hand-
lungen tragenden Einflüsse besitzen, weshalb es eine ständige Offenheit
für neue Aufklärungsprozesse braucht. Dies macht jedoch von Seiten des
Subjekts die Notwendigkeit nicht zunichte, auf dem Boden des jeweils ver-
fügbaren Wissens möglichst verantwortungsvolle Entscheidungen zu tref-
fen – z.
B. zu entscheiden, ob man sich der Macht der Liebe oder der Macht
einer Sucht überlässt oder ob man im Hinblick auf CRISPR/CAS9 die Zeit für
reif hält, gentechnische Eingriffe vorzunehmen oder nicht.
Plurale Mächte
Weil die Analytik der Biomacht alle Aspekte des gesellschaftlichen Um-
gangs mit Leben unter das Vorzeichen einer Steigerung des Lebens bringt,
neigt sie zu einer Blickverengung, was die Existenz anderer Mächte an-
geht, mit denen sich der Mensch auseinandersetzen muss. Demgegenüber
scheint es angemessener zu sein, von der Existenz pluraler und heteroge-
ner Mächte auszugehen. Als Beispiel soll auf das Problem einer zunehmend
eigenständigen Handlungsmacht (agency) technischer Artefakte verwie-
sen werden, von denen in Zukunft eine ganz andere Art der Bedrohung für
den Menschen ausgehen könnte. Zu denken wäre an immer eigenständi-
ger agierende Roboter oder andere künstliche Intelligenzen (Rammert
2003; Matsuzaki 2011; Dries 2013), im Zusammenhang mit Biotechnologie
an künstlich geschaffene Lebewesen, die eine nicht mehr kontrollierbare
Eigen dynamik entwickeln.
Es wurde schon auf die neueren Forschungen zum spontanen mensch-
lichen Entscheidungsverhalten hingewiesen, die bestimmte Verzerrungen
in unseren spontanen Urteilen und eine darauf aufbauende Manipulier-
barkeit unseres Willens zu Tage förderten (Kahneman 2012; Akerlof/Shiller
2016; Steyrer 2018). Hier stoßen wir auf Faktoren, die neurobiologisch in
uns ver ankert sind und die unser Reagieren, Entscheiden und Handeln im
Alltag bestimmen. So neigen Menschen zum Beispiel dazu, sich für kurz-
fristige Vorteile zu entscheiden, und es fällt ihnen schwer, ihr Handeln an
Walter Schaupp | Genom-Editierung als Schlüsseltechnik der Zukunft
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 1:1
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 1:1
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 236
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven