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228 | www.limina-graz.eu Der christliche Sinnhorizont
Am Schluss ist noch eine Einordnung der vorgetragenen Überlegungen in
einen christlichen Sinn- und Glaubenshorizont zu leisten. Was bedeutet es,
die analysierten Fragen im Licht des biblischen Glaubens und im Kontext
einer christlichen Ethik zu reflektieren?
Zunächst beeinflusst der christliche Sinnhorizont, welche der verfügbaren
humanwissenschaftlichen und philosophischen Theorien man aufnimmt
und wie man sie rezipiert. Einem christlichen Denken entspricht dann im
Besonderen der hier verfolgte Weg, einerseits trotz prekärer Machtkon-
stellationen welcher Art auch immer dezidiert an Freiheit und ethischer
Verantwortung des Menschen festzuhalten, diese andererseits in ihren
konkreten Möglichkeiten nicht zu überschätzen, sich vielmehr ihrer stän-
digen Ausgesetztheit, ihrer konstitutiven Versuchbarkeit, um einen tra-
ditionellen Terminus der theologischen Anthropologie zu benutzen, be-
wusst zu bleiben. Es ist dem christlichen Denken zudem nicht fremd, dass
wahre Freiheit nicht einfach und unkompliziert gegeben ist, sondern ge-
genüber Mächten immer erst durchgesetzt werden muss.10 Dem entspricht
der Rückgriff auf Bieris Konzept eines Handwerks der Freiheit, das Freiheit
als prozesshaftes Freiwerden des Individuums angesichts der im eigenen
Selbst vorfindlichen Kräfte betont. Sein dritter Schritt der Billigung eines
Willens (vgl. Anm.
9) entspricht dem, was theologisch unter Unterscheidung
der Geister zu verstehen ist. Gleichzeitig haben die irdischen Mächte nach
biblisch-christlicher Vorstellung nicht das letzte Sagen. Sie haben keine
definitive Geschichtsmächtigkeit, sondern können im Prinzip aufgedeckt
und überwunden werden, wenn der Mensch sich der guten Macht Gottes
anvertraut, dem, was theologisch Gnade bzw. Geist zu nennen ist.
Was Eingriffe ins menschliche Genom angeht, zeichnet sich zunächst ab,
dass therapeutische Eingriffe dem christlichen Menschenbild nicht wider-
sprechen, somit nicht per se als Würdeverletzungen anzusehen sind. Sie
werden, wie erwähnt, auch in dem Dokument Dignitas Personae nur aktuell
und unter Verweis auf unvertretbare Risiken, d. h. nicht für immer ausge-
schlossen (Kongregation für die Glaubenslehre 2008, Nr. 26).
Was die Vision einer gentechnischen Verbesserung der menschlichen Kon-
stitution angeht, die heute im Raum steht, hängt die Bewertung davon ab,
Walter Schaupp | Genom-Editierung als Schlüsseltechnik der Zukunft
10 Vgl. dazu die Aussage des Gala-
terbriefs: „Zur Freiheit hat uns
Christus befreit. Bleibt daher fest
und lasst euch nicht von neuem das
Joch der Knechtschaft auflegen!“
(Galater 5,1) .
Möglichkeiten der Freiheit
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 1:1
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 1:1
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 236
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven