Seite - 25 - in Limina - Grazer theologische Perspektiven, Band 2:1
Bild der Seite - 25 -
Text der Seite - 25 -
25 | www.limina-graz.eu menten und Bereichen der menschlichen Existenz in Bezug gebracht und
Menschenrechte als politisches Argument verwendet.
Dabei besteht auch die Gefahr, dass Menschenrechte zweckentfremdet als
Grund angegeben werden. So werden oftmals politische Programme unter
den Schirm dieser hohen Sache gestellt, auch wenn es eigentlich um ganz
andere kleine Dinge geht, die nicht menschenrechtlich besetzt sind. Z. B.
werden militärische Interventionen mit einem vermeintlichen Einsatz für
die Menschenrechte legitimiert, auch wenn sie eigentlich anderen Zielen
wie Territorialgewinn, Zugang zu Rohstoffen, Macht etc. dienen.
Menschenrechte bilden einen politischen Konsens der internationalen Ge-
meinschaft. Dieser lässt sich auf verschiedene Arten begründen (mo ralisch,
rechtlich, historisch, politisch). Die Allgemeine Erklärung der Menschen-
rechte von 1948 bildet das erste Beispiel internationaler politischer Eini-
gung darauf, Menschenrechte von einer deklamatorischen Ebene zu einem
gemeinsamen politischen Programm zu erhöhen (Campbell 1994).
Eine mögliche Verbindung zwischen der Allgemeinen Erklärung der Men-
schenrechte von 1948 und der Verletzung (und dem Versuch der Vernei-
nung) der MenschenwĂĽrde im Holocaust kann gesehen werden.2 So meint
J. Morsink: „Most of the articles and rights in the Declaration were adopted
as direct and immediate reactions to the horrors of the Holocaust.“ (Mor-
sink 2010, 27) Generell können die Menschenrechte als zunächst politische
Reaktionen auf Verletzungen und Unrechtserfahrungen in essentiellen
Elementen und Bereichen der menschlichen Existenz verstanden werden.3
Dabei ist jedoch Vorsicht geboten, um eine bestimmte Unrechtserfahrung
nicht als Ursprung der Menschenrechte zu „adeln“. Denn dies wäre verbun-
den mit der impliziten Priorisierung der historischen Unrechtserfahrung
gegenüber anderen historischen Verletzungsereignissen. „Vergessene Ge-
schichten“ würden so ein weiteres Mal marginalisiert. Denn Geschichts-
schreibung kann vergessen – bewusst oder unbewusst. Eine Abstützung
der BegrĂĽndung der Menschenrechte auf eine Geschichtsschreibung, die
z. B. die afrikanische Perspektive auf die Schrecken und Horrortaten des 2.
Weltkrieges mit der europäischen Dimension zudeckt, würde genau dies
bewirken: „The human rights abuses on the minds of the 1948 drafters
occurred during the Holocaust, while today we can point not only to the
Peter G. Kirchschläger | menschenrechte, demokratie und religionen
Dabei besteht auch die Gefahr, dass Menschenrechte
zweckentfremdet als Grund angegeben werden.
2 S. Moyn geht diesbezĂĽglich einen
anderen Weg: „After the 1970s and
especially after the Cold War, (…) it
became usual to regard World War II
as a campaign for universal justice,
with the shock of the discovery of
the camps prompting unprecedented
commitment to a humane inter-
national order. This inaccurate and
depoliticized view of aftermath of
war, which allowed the myth that
human rights were a direct response
to the worst crimes of the century to
take root and prosper, compounds
the importance of focusing on the
more recent invention of the con-
temporary utopian imagination. It
is true that commitment to human
rights crystallized as a result of
Holocaust memory, but only decades
later, as human rights were called
upon to serve brand new purposes.
What mattered most of all about the
human rights moment of the 1940s,
in truth, is not that it happened, but
that – like the even deeper past – it
had to be reinvented, not merely
retrieved, after the fact“ (Moyn
2010, 83).
3 W. Brugger versteht die Men-
schenrechtsforderungen als „Ant-
worten auf exemplarische Unrechts-
erfahrungen“ (Brugger 1992, 21).
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 2:1
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 2:1
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 194
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven