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68 | www.limina-graz.eu Weg finden? Die Perspektive, die ich im Folgenden einnehme, lässt sich als
gesinnungsethisch grundiertes Menschenrechtsdenken qualifizieren. Was
dies bedeutet, möchte ich im Folgenden näher erläutern:
Erstens gehe ich nicht im engen Sinn von einem juristischen Verständnis
der Menschenrechte aus, demzufolge diese nur einzelne Staaten und in
subsidiärer Weise – nämlich im Falle des rechtlichen Versagens einzelner
Staaten – die Staatengemeinschaft in die Pflicht nehmen (vgl. Lohmann
2017, 184). Dieses Verständnis ist im internationalen Recht einschlägig –
seine Legitimation möchte ich keinesfalls bestreiten. Dennoch halte ich es
für gerechtfertigt, die Menschenrechte in einem weiteren Sinn als morali-
sche Anforderung nicht nur an staatliche und internationale Institutionen,
sondern auch an einzelne Menschen aufzufassen, insofern Menschen aus
dem Geist der Menschenrechte handeln und sich diesem auch verweigern
können. Sie handeln dann aus dem Geist der Menschenrechte, wenn sie
sich gegen Rechtsverletzungen am einzelnen Menschen zur Wehr setzen,
und sie verweigern sich diesem Geist, wenn sie Rechtsverletzungen am
einzelnen Menschen bewusst in Kauf nehmen oder direkt zu verantwor-
ten haben. Die Achtung vor dem einzelnen Menschen als Rechtssubjekt ist
nicht nur eine Forderung des Staats- und Völkerrechts, sondern auch eine
Forderung der Moral.
Mit dem moralphilosophischen Fokus auf die Menschenrechte geht zwei-
tens eine individualethische Perspektive einher. Ich teile die Überzeu-
gung von Thomas Meyer, der im Anschluss an Hannah Arendt und Ayten
Gündoğdu schreibt: „Institutionen sind nur so gut und hilfreich wie die-
jenigen, in deren Namen sie agieren. Der schöne Schein des Namens Demo-
kratie und der sie tragenden Institutionen garantiert eben als solcher rein
gar nichts.“ (Meyer 2016, 58) Regierungsentscheidungen werden getragen
von den Entscheidungen einzelner Menschen, Regierungen werden ge-
wählt von einzelnen Menschen. Es ist nicht gleichgültig, wie Wählerinnen
und Wähler denken. Es ist nicht gleichgültig, wes Geistes Kinder die Re-
gierenden sind. Mit diesem individualethischen Fokus soll die Bedeutung
einer institutionentheoretischen Perspektive nicht geschmälert werden. Es
geht mir vielmehr um eine Weitung des Blicks daraufhin, die Quelle von
politischem Recht und Unrecht auch im Einzelnen zu sehen. Wie sollen Re-
gierungen mentale Hürden nehmen, wenn ihre Vertreterinnen und Vertre-
margit Wasmaier-sailer | recht tun – recht verlangen
Die Achtung vor dem einzelnen Menschen als Rechtssubjekt ist nicht nur eine
Forderung des Staats- und Völkerrechts, sondern auch eine Forderung der Moral.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 2:1
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 2:1
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 194
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven