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69 | www.limina-graz.eu ter, wenn die Wählerinnen und Wähler sie nicht nehmen können? Wie soll
die Politik das Rechte erkennen und in die Tat umsetzen, wenn die Gesell-
schaft selbst desorientiert ist?
Drittens beruhen meine Überlegungen auf der Überzeugung, dass ein Han-
deln aus dem Geist der Menschenrechte affektive Voraussetzungen hat.
Hans Joas hat Recht, wenn er Wertbindungen als ein emotionales Gesche-
hen beschreibt und eine rein rationalistische Ethik für reduktionistisch hält
(vgl. Joas 2012, 18–19). Wenn Appelle an die Vernunft im Nichts verhallen,
wie dies bei Anhängerinnen und Anhängern rechter Gruppierungen der Fall
zu sein scheint, dann ist das ein sicheres Zeichen dafür, dass es emotiona-
le Barrieren für ein vernunftgemäßes Handeln gibt. Für die Überwindung
dieser Barrieren reicht es nicht, nur zu argumentieren oder zu appellieren.
Für die Überwindung dieser Barrieren müssen Unrechtsstrukturen wahr-
genommen und überwunden werden. Das jedenfalls ist die These, die ich
im Folgenden vertreten möchte. Ich glaube, dass im Einzelnen wie in der
Gesellschaft emotionale Kräfte wirken, die adäquat wahrgenommen und
in ihrer Berechtigung erkannt werden müssen, um sie so konstruktiv ver-
wandeln und in ihrem Gefahrenpotential entschärfen zu können.
Nun ist ein solcherart konturiertes Menschenrechtsdenken begründungs-
bedürftig – wie im Übrigen jedes andere Menschenrechtsdenken auch (vgl.
Wasmaier-Sailer/Hoesch 2017). So sehr ich Joas darin Recht gebe, dass
Werte eine affektive Dimension haben und aus geschichtlichen Kontexten
heraus zu verstehen sind, so wenig stimme ich seiner These zu, dass es kei-
ne rein rationale Begründung letzter Werte geben könne (vgl. Joas 2012, 13,
20). Eine rationale Begründung liegt nicht nur dann vor, wenn ein Prinzip
logisch abgeleitet, sondern auch dann, wenn dessen Geltung von mensch-
lichen Erfahrungskontexten her erschlossen wird. Begründungsbedürftig
ist die von mir eingenommene Perspektive auf die Flüchtlingsdebatte vor
allem deswegen, weil der Begriff der Gesinnungsethik in politischen Kon-
texten oft in einem abwertenden Sinn gebraucht wird. Konrad Ott etwa
beschreibt die Gesinnungsethik als grenzenlose Hilfsbereitschaft, die auf
open borders und damit einen slippery slope zulaufe (vgl. Ott 2016, 18–51,
87–92). Ich halte diese Beschreibung der Gesinnungsethik für nicht zu-
treffend, weil die Gesinnungsethik damit auf eine einzige Tugend – und
in der Folge auf eine ganz bestimmte politische Option – reduziert wird.
margit Wasmaier-sailer | recht tun – recht verlangen
Wenn Appelle an die Vernunft im Nichts verhallen, dann ist das ein sicheres Zeichen,
dass es emotionale Barrieren für ein vernunftgemäßes Handeln gibt.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 2:1
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 2:1
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 194
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven