Seite - 80 - in Limina - Grazer theologische Perspektiven, Band 2:1
Bild der Seite - 80 -
Text der Seite - 80 -
80 | www.limina-graz.eu meisten angewiesen sind. Ich glaube, dass man den neuen Nationalismen
nur dann effektiv entgegentreten kann, wenn man diese Zerrüttungen ver-
steht: In den neuen Nationalismen offenbaren sich mentale Barrieren, die
von Mangelsituationen und Anerkennungsdefiziten herrühren. Es muss
also um eine Überwindung dieser Mangelsituationen und Anerkennungs-
defizite gehen. Nicht jede Not ist menschengemacht, aber die Verweige-
rung von Respekt ist von Menschen zu verantwortendes Unrecht.
Für das innerdeutsche Verhältnis, das ich in diesem Artikel genauer be-
trachtet habe, heißt dies: Die Westdeutschen dürfen die Deutungshoheit
über die Geschichte nicht für sich beanspruchen, sondern müssen sie mit
den Ostdeutschen teilen. Unrecht, das die Ostdeutschen nach der Wende
erlitten haben, muss als solches eingestanden und nach Möglichkeit wie-
dergutgemacht werden. Bewusste oder unbewusste Abwertungen müssen
ebenfalls eingestanden werden, damit die Menschen sich auf Augenhöhe
begegnen können. Wenn also westdeutsche Medien unter Berufung auf die
Menschenrechte die Fremdenfeindlichkeit in Ostdeutschland beklagen,
dann hat dies so lange einen schalen Beigeschmack, solange sie nicht auch
das innerdeutsche Anerkennungsdefizit zur Kenntnis nehmen, an dem sie
durch Ignoranz ostdeutscher Themen oder durch Schulmeisterei ange-
sichts ostdeutscher Probleme womöglich selbst einen Anteil haben (vgl.
Köpping 2018, 11, 150). Ihre Appelle bleiben dann nämlich leer und verhallen.
Recht ist freilich nicht nur gesellschaftlich zu sichern, sondern auch po-
litisch, nicht nur innerhalb eines Landes, sondern auch global. Hier sind
in erster Linie die Regierungen in der Pflicht. Sie sind daran zu messen, ob
sie die Menschenrechte auch dann verteidigen, wenn dies politische oder
wirtschaftliche Opfer mit sich bringt; ob sie die Menschenrechte nachhaltig
verteidigen, also im Hinblick auf Menschenrechtsverletzungen präventiv
handeln; und schließlich daran, ob sie die Menschenrechte nicht nur unter
dem Druck der Öffentlichkeit verteidigen. Für die deutsche Regierung etwa
heißt dies: Wenn sie sich „Humanität“ auf die Fahnen schreibt, ist dies erst
dann frei von jeder Heuchelei, wenn sie etwa bei den Rüstungsexporten nicht
zu Kompromissen bereit ist, wenn sie eine nachhaltige Entwicklungspoli-
tik verfolgt, und wenn sie menschenrechtlich fragwürdige Entscheidungen
nicht erst dann korrigiert, wenn die Medien sich kritisch zu Wort melden.
Dann nämlich hat das Bekenntnis zu den Menschenrechten Substanz.
margit Wasmaier-sailer | recht tun – recht verlangen
Recht ist freilich nicht nur gesellschaftlich zu sichern, sondern auch politisch,
nicht nur innerhalb eines Landes, sondern auch global.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 2:1
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 2:1
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 194
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven