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axel Bernd Kunze | staat – Identität – recht
befĂĽrchten, dass man den zweiten Pass gern mitnimmt, sich im Letzten
aber nicht mit dem neuen Heimatland, seiner Geschichte und Tradition,
seiner Identität und seinen Werten identifiziert. Loyalitätskonflikte und
kulturelle Auseinandersetzungen sind damit vorprogrammiert.
Und wie sieht es mit dem Zusammenhalt in Europa aus? Mangelnde Soli-
darität innerhalb der Europäischen Union ist nicht erst seit 2015 mit dem
Anschwellen der Flüchtlingsbewegungen zu verzeichnen; das Phänomen
zeigte sich schon einige Jahre zuvor, als die ersten Anzeichen einer kom-
menden Migrationskrise weitgehend ignoriert wurden. Die Europäische
Union ist ein Bund von Staaten mit eigenen Interessen, wie sich in der Mi-
grationskrise deutlich gezeigt hat – nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Ein solcher Zusammenschluss kann hilfreich sein, den Herausforderungen
einer globaler gewordenen Welt zu begegnen und internationale Aufgaben
besser zu bewältigen. Für die demokratische Willensbildung und Entschei-
dungsfindung eignen sich suprastaatliche ZusammenschlĂĽsse aber nur
begrenzt, schon allein wegen sprachlicher Barrieren und fehlender identi-
tätsstiftender Elemente.
Allein rechtlich und politisch handlungsfähige Staaten, die nicht chronisch
ĂĽberfordert sind, die nicht erpressbar sind, nicht von inneren kulturellen
Konflikten zerrieben werden und die das Vertrauen der eigenen Bevölke-
rung genieĂźen, bleiben berechenbar und werden auf Dauer mit anderen
friedlich zusammenleben können. Es gibt einen kulturellen Zusammen-
hang in Europa, bei allen Unterschieden zwischen Süd- und Nordeuropä-
ern, Ost- und Westeuropa. Der kulturelle Zusammenhang wird aber nicht
den identitätsstiftenden Gehalt der einzelnen Nationalstaaten ersetzen
können. Europas Stärke war stets seine kulturelle Vielfalt. Diese hat Papst
Franziskus in seiner Rede vor dem Europäischen Parlament noch einmal
betont, auch wenn auffällt, dass er hier allein von der Verschiedenheit der
Völker, nicht aber der Staaten innerhalb der Europäischen Union spricht:
Das Motto der Europäischen Union ist Einheit in der Verschiedenheit,
doch Einheit bedeutet nicht politische, wirtschaftliche, kulturelle oder
gedankliche Uniformität. In Wirklichkeit lebt jede authentische Einheit
vom Reichtum der Verschiedenheiten, die sie bilden: wie eine Familie,
die umso einiger ist, je mehr jedes ihrer Mitglieder ohne Furcht bis zum
Grund es selbst sein kann“ (Franziskus 2014 [Herv. i. O.]).
Und wie sieht es mit dem Zusammenhalt in Europa aus?
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 2:1
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 2:1
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 194
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven