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Kurt remele | Christliche Kakistokratie
Studium religiöser Texte erhalten die Funktion eines psychologischen Mit-
tels, um für den Konkurrenzkampf besser gerüstet zu sein und den Gegner
erfolgreicher auszuschalten. Damit wird eine problemlose Übereinstim-
mung zwischen den Werten des Kapitalismus und der Botschaft des Evan-
geliums suggeriert: Alles o.k. in Gottes erwähltem Land.
Geschichtskonstruktion:
God’s Own Country
Das Wort ‚Gott‘ ist in den USA fast allgegenwärtig, Religion nahezu überall
erlebbar. Trotz einer formal strengen Trennung von Staat und Kirchen ist
der Einfluss der Religion auf Gesellschaft und Politik beträchtlich: Ame-
rikanische Schülerinnen und Schüler müssen jeden Morgen ein Pledge of
Allegiance genanntes Treuegelöbnis aufsagen, in dem ihr Land als „nati-
on under God“ bezeichnet wird. Auf den Geldmünzen und Geldscheinen
ist „in God we trust“ zu lesen, und so gut wie jede Rede eines amerika-
nischen Politikers endet mit „God bless America“. Diese öffentliche und
öffentlich zur Schau getragene Religion – der Religionssoziologe Robert
Bellah bezeichnete sie als „Zivilreligion“ (Bellah 1967, 1–21; Remele 1992,
104–105) – prägt und überhöht das amerikanische Gemeinwesen und
seine Repräsentantinnen und Repräsentanten. Sie kann leicht in nationa-
len Chauvinismus umschlagen, wie z. B. die Amtszeit des evangelikalen,
‚wiedergeborenen‘ Christen George W. Bush deutlich zeigte. Im Glauben,
die Vereinigten Staaten seien „God’s own country“, huldigte Bush einem
dualistischen Freund-Feind-Denken und führte einen Kreuzzug des Guten
gegen die dunklen Mächte des Bösen. Donald Trump hat diese Vorstellung
von einem US-amerikanischen Sonder- und Auserwählungsstatus („make
America great again“) inzwischen bis ins Groteske überhöht.
Der Evangelikalismus trug maßgeblich dazu bei, dass die zivilreligiöse
Vorstellung von Amerikas Auserwählung das Selbstverständnis der Nation
bis heute tief prägt. Die Grundpfeiler dieser Geschichtskonstruktion bilden
die Übertragung des alttestamentlichen Erwählungsgedankens auf die USA
(Europa ist Ägypten, Amerika das Gelobte Land), die Charakterisierung der
Unabhängigkeitserklärung und der Verfassung als ‚heilige Schriften‘, die
Die zivilreligiöse Vorstellung von Amerikas Auserwählung
prägt das Selbstverständnis der Nation bis heute.
Quelle: https://commons.wikime-
dia.org/wiki/File:Pledge-of-Alle-
giance-to-the-Flag-by-Irving-
Caesar.pdf
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 2:1
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 2:1
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 194
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven