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Kurt remele | Christliche Kakistokratie
zu sehen: „Das Christentum zu beschützen, so argumentiert er im Wesent-
lichen, ist ein Job für einen brutalen Rüpel.“ (Gerson 2018, 51)
Dieser „brutale Rüpel“ ist jetzt der Präsident der USA. Er ist der selbst-
ernannte Schutz und das Schild der Evangelikalen und der Wunsch- und
Traumpräsident ihrer Führungspersönlichkeiten Jerry Falwell Jr. und
Franklin Graham, James Dobson und Ralph Reed, Eric Metaxas und Tony
Perkins, Darrell Scott und Robert Jeffress.2 Michael Gerson, Kolumnist der
Washington Post, ehemaliger Redenschreiber von George W. Bush und
selbst ein Evangelikaler, beurteilt diesen Tatbestand wie folgt:
„Es überrascht zu hören, wie religiöse Führungspersönlichkeiten Obs-
zönität, Verhöhnung anderer und Unmenschlichkeit zu authentischem
Verhalten uminterpretieren und wie schnell sie Höflichkeit und Anstand
als veraltete Tugenden abqualifizieren. Was auch immer Trumps politi-
sches Erbe sein wird, feststeht, dass seine Präsidentschaft für den Bereich
ethischer Normen eine Katastrophe darstellt. Sie hat unseren Umgang
mit Menschen brutaler gemacht, Schikanen und Mobbing für zulässig
erklärt, die moralische Bildung unserer Kinder erschwert, die Integrität
des öffentlichen Lebens unterwandert. […] Falwell, Graham und all die
anderen breiten ein religiöses Deckmäntelchen über [Trumps] schmut-
ziges Verhalten […]. Sie haben Interessenspolitik über alles andere ge-
stellt. Deshalb kann man diese evangelikalen Repräsentanten nicht mehr
ernsthaft als moralische Vorbilder und Führungspersönlichkeiten be-
trachten.“ (Gerson 2018, 51)
Die Tatsache, dass sich die Elite des konservativen und reaktionären US-
Protestantismus durch die Unterstützung Donald Trumps als unglaubwür-
dig, bigott und heuchlerisch entlarvt hat, mag Einzelne ihrer Mitglieder
kränken oder ärgern. Das ist aber keinesfalls das Hauptproblem. Der Pakt
des evangelikalen und fundamentalistischen Protestantismus der USA mit
Donald Trump hat weitreichendere und grundsätzlichere Folgen. Weiße
Evangelikale und ihre führenden Vertreter tragen nämlich entscheidend
dazu bei, dass das Wort ‚christlich‘ in den USA für viele aufgeschlossene,
humanistisch denkende Menschen zunehmend negativ konnotiert ist. Der
Begriff ‚christlich‘ wird mit Obskurantismus, Wissenschaftsfeindlichkeit
und der Ausgrenzung anders Lebender und anders Denkender in Verbin-
dung gebracht. Mag sein, dass dies vielen protestantischen Fundamenta-
listen sogar sehr recht ist. Millionen andere Christinnen und Christen hal-
ten eine solche Entwicklung jedoch zu Recht für erschreckend und äußerst
problematisch.
2 Robert Jeffress hat sich als plum-
per Verteidiger sämtlicher politi-
scher Maßnahmen und persönlicher
Verhaltensweisen Trumps besonders
hervorgetan (Young 2018).
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 2:1
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 2:1
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 194
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven