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Franz Gmainer-Pranzl | â... mit dem menschengeschlecht und seiner Geschichte wirklich innigst verbunden ...â
tiert nur das Licht der Sonne.4 Als derart âBeleuchteteâ bzw. âErleuchteteâ
erhellt sie das Leben der Menschen, ist sie âin Christus gleichsam das Sa-
krament bzw. Zeichen und Werkzeug fĂŒr die innigste Vereinigung mit Gott
und fĂŒr die Einheit des ganzen Menschengeschlechts [âŠ]â (LG 1).5
Diese Passage sollte weder als âreine Metaphorikâ noch als âfromme Tra-
ditionâ abgetan werden. Gewiss wird eine gegenwĂ€rtige Ekklesiologie, die
âim Zeichen einer Marginalisierung des Christentums als Kircheâ (Hoff
2011, 36) steht und seit dem Zweiten Vatikanum grundlegende Verschie-
bungen ihrer gesellschaftlichen Koordinaten erfahren hat, diese Semantik
des Sakraments und des Lichts nicht einfach ĂŒbernehmen und ungebrochen
rezipieren können. Das entscheidende Motiv in dieser âOuvertĂŒreâ zur Kir-
chenkonstitution Lumen gentium jedoch, der Bezug auf die gesamte Mensch-
heit, gehört untrennbar zum (Selbst-)VerstÀndnis von Kirche. Sie will nicht
nur âihr Wesen und ihre allumfassende Sendung ihren GlĂ€ubigen und der
gesamten Welt eindrĂŒcklicher erklĂ€renâ, sondern den âVerhĂ€ltnissen die-
ser Zeitâ gerecht werden, die es dringlich erfordern, dass âalle Menschen,
die heute durch vielfÀltige soziale, technische und kulturelle Bande enger
verbunden sind, auch die volle Einheit in Christus erlangenâ (LG 1).
Dass es hier nicht bloĂ um eine Art katechetische Initiative geht, sondern
um einen grundlegenden Anspruch fĂŒr die Kirche, zeigt das Vorwort von
Gaudium et spes: Es identifiziert nicht nur die âFreude und Hoffnung, Trau-
er und Angst der Menschen dieser Zeitâ mit genau den Erfahrungen, die
auch die âJĂŒnger Christiâ machen, sondern verpflichtet die Kirche, die
empfangene Heilsbotschaft âallen vorzulegenâ (GS 1), also nicht nur den
Bekannten, Freunden oder Vertrauten, sondern auch jenen Menschen, mit
denen sich die Kirche möglicherweise schwer tut, die sie nicht versteht, die
ihr fremd sind. Die Kirche, und das ist der springende Punkt, âerfĂ€hrt [âŠ]
sich mit dem Menschengeschlecht und seiner Geschichte wirklich innigst
verbundenâ (GS 1). Deshalb richtet das Konzil sein Wort auch bewusst âan
alle Menschenâ (GSÂ 2) â was nicht als diplomatische Formel zu verstehen
ist, sondern als zentrales Charakteristikum kirchlicher Sendung. âKircheâ â
das ist keine Sondergruppe, die es sich in ihrem Milieu bequem einrichtet
und auf die âKirchenfernenâ herabschaut; das Licht, von dem sie beschienen
ist â um nochmals die Bildsprache von Lumen gentium 1 aufzugreifen â,
ist nicht fĂŒr sie selbst, sondern fĂŒr die Menschheit. Mit dem âSuperlativ
Der Bezug auf die gesamte Menschheit gehört untrennbar zum
SelbstverstÀndnis von Kirche in den VerhÀltnissen dieser Zeit.
4 Vgl. die zahlreichen Belege zur
Mondmystik und âlunaren Dog-
matikâ (Origenes) bei Rahner 1964,
97â139; in diesem Sinn gebe es bei
Origenes âein mystisches âUnnötig-
werdenâ der Kircheâ (ebd., 112).
5 In einer Rundfunkbotschaft von
Papst Johannes XXIII. wenige Wo-
chen vor der Eröffnung des Konzils
taucht dieses Motiv des Lichtes
Christi mit Verweis auf die Liturgie
der Osternacht auf:
âPlötzlich erklingt in der Liturgie
sein Name: Lumen Christi. Die Kir-
che Jesu antwortet aus allen Teilen
der Erde: Deo gratias, Deo gratias,
gleichsam als ob sie sagte: ja, Licht
Christi, Licht der Kirche, Licht der
Völker.â (Johannes XXIII. 2006, 477)
Zu einigen theologiehistorischen
HintergrĂŒnden vgl. Semmelroth
1972, 322â327.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 2:1
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 2:1
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 194
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven