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Franz Gmainer-Pranzl | „... mit dem menschengeschlecht und seiner Geschichte wirklich innigst verbunden ...“
‚innigste Verbindung‘“, so Hans-Joachim Sander in seinem Konzilskom-
mentar, „[…] wird eine Ausschließung überwunden, die bis dahin selbst-
verständlich war“ (Sander 2005, 710), ja mehr noch: Die Plausibilität der
Zuordnung von Kirche und ‚Welt‘ dreht sich um. Nicht die Kirche richtet
über die (böse) ‚Welt‘, sondern diese Welt nimmt die Kirche in die Pflicht;
ohne Bezug zur Welt und zur Gesamtheit der Menschheit hat die Kirche
buchstäblich keinen Sinn.
Als ‚Welt-Kirche‘ kann sie gar nicht anders, als sich dieser Welt zuzuwen-
den; von daher hat die Kirche
„die Welt der Menschen vor Augen bzw. die gesamte menschliche Fami-
lie mit der Gesamtheit der Wirklichkeiten, unter denen sie lebt; die Welt,
den Schauplatz der Geschichte des Menschengeschlechtes, von seiner
Tätigkeit, seinen Niederlagen und Siegen gezeichnet […]“ (GS 2).
Und das Konzil betont von dieser Perspektive her,
„seine Verbundenheit, Achtung und Liebe gegenüber der ganzen Men-
schenfamilie, der sie eingefügt ist, nicht beredter zu beweisen als da-
durch, dass es mit ihr ein Gespräch über diese vielfältigen Probleme
beginnt, das aus dem Evangelium gewonnene Licht beibringt und dem
Menschengeschlecht jene heilsamen Kräfte zur Verfügung stellt, die die
Kirche selbst unter der Führung des Heiligen Geistes von ihrem Gründer
empfängt“ (GS 3).
Mit anderen Worten: Eine Kirche, die keinen Dialog mit der Welt führt, ist
nicht die Kirche Jesu Christi.
An diesem Bezug auf die gesamte Menschheit, an dem das Konzil festhält,
ist zweierlei bemerkenswert: Zum einen besteht die größte Sorge der Kir-
che nicht in ihrem eigenen Wohlergehen, sondern im Frieden und in der
Einheit der Menschheitsfamilie.6 Nicht der Erfolg der eigenen Institution,
sondern die Vision der einen Menschheit bewegt das Konzil – dieses Mo-
tiv des Zweiten Vatikanums ist in der ekklesiologischen Diskussion noch
längst nicht entsprechend rezipiert. Oder wer würde, wenn es um die Frage
nach den wichtigsten Beiträgen des Konzils zur Kirchenreform geht, mit
Begeisterung auf Gaudium et spes 2 und Nostra aetate 1 verweisen? Zum an-
6 So auch im Dekret über die missi-
onarische Tätigkeit der Kirche
Ad gentes: „In der gegenwärtigen
Ordnung der Dinge aber, aus der
eine neue Situation für die Mensch-
heit aufsteigt, wird die Kirche […]
noch dringender gerufen, die ganze
Schöpfung zu heilen und zu erneu-
ern, damit alles in Christus wieder-
aufgerichtet wird und in Ihm die
Menschen eine Familie und ein Volk
Gottes bilden.“ (AG 1)
Ebenso heißt es in der Einleitung
zur Erklärung über die Haltung der
Kirche zu den nichtchristlichen
Religionen Nostra aetate: „Bei ihrer
Aufgabe, Einheit und Liebe unter
den Menschen, ja sogar unter den
Völkern zu fördern, erwägt sie [die
Kirche, F. G.-P.] hier vor allem das,
was den Menschen gemeinsam ist
und sie zur gegenseitigen Gemein-
schaft führt.“ (NA 1)
Eine Kirche, die keinen Dialog mit der Welt
führt, ist nicht die Kirche Jesu Christi.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 2:1
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 2:1
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 194
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven