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Richard Sturn | Generationengerechtigkeit, Generationenvertrag und Entsolidarisierung
Wie dem auch sei: Aus Schreiber (1955) und Orszag/Stiglitz (1999) las-
sen sich einige jener praktisch-ökonomischen und prinzipiellen Grün-
de für einen „Generationenvertrag“ zur Alterssicherung erschließen, der
in die angedeuteten Vorstellungen einer Solidargemeinschaft eingebettet
ist. Der zweite Teil des Schreiberʼschen Generationenvertrags, die Fami-
lienpolitik, kann dann und nur dann Teil eines solchen übergreifenden
Generationenvertrags sein, wenn er alle Einkommensschichten umfasst.
Leistungen und Entlastungen dürfen weder auf die „Bedürftigen“ be-
schränkt sein noch dem Prinzip des Statuserhalts folgen.
Moderne Familienpolitik muss darüber hinaus in eine Bildungspolitik im
weitesten Sinn integriert sein, die insbesondere jenen Herausforderungen
für die sozio-kulturelle Reproduktion von Gemeinschaften gerecht wird,
welche die Moderne durch ihre hohe soziale, geographische und interkul-
turelle Mobilität mit sich bringt. Dabei kommt der Förderung „benachtei-
ligter“ Kinder besondere Priorität zu, weil ohne eine solche ex ante-Förde-
rung ihre Teilhabe am sozialen, ökonomischen und kulturellen Leben der
sich dynamisch entwickelnden Gesellschaft akut gefährdet ist. Die sozio-
kulturelle Bedeutung solcher Programme, die indes keine Förderghettos
für Benachteiligte bilden, sondern möglichst inklusionsfördernd angelegt
sein sollten, kommt sogar regelmäßig in jenen Rentabilitätsberechnungen
zum Ausdruck, die von Seiten der Ökonomik zu diesem Thema vorgelegt
werden. So zeigt eine Studie von Hendren und Sprung-Kayser (2019) eine
um den Faktor 5 überdurchschnittliche Rentabilität solcher Programme.
Im Spannungsfeld ultraindividualistischer und traditional-kollektivisti-
scher Sichtweisen ist gleichwohl der Status solcher Programme und ganz
allgemein öffentlicher Institutionen, welche die Umsetzung eines kollek-
tiven Generationenvertrags zum Zweck haben, kontrovers. Die Vorstellung
schrittweise erweiterter Solidargemeinschaften stößt eben nicht überall
auf Zuspruch. Marktlibertäre sehen öffentliche Institutionen verteilungs-
politisch allenfalls als ex post-Lückenbüßer für jene, die großes Pech ge-
habt haben, und meinen, moderne Märkte seien so effizient, dass von der
Bildung bis zur Alterssicherung der Markt alles im Sinne der bestmöglichen
Befriedigung aller Wünsche regelt.
Tatsächlich ist es ja unter bestimmten Idealbedingungen vorstellbar, dass
Kapital- und Versicherungsmärkte jedem und jeder jene Alterssicherung
Familienpolitik bedeutet immer
auch Bildungspolitik.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 3:1
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 3:1
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 222
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven